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Zu viel Hitze, zielloses Treiben, unentschiedenes FeiernAugust time? Not my time

Ausgehen und Rumstehen

von Beate Scheder

Am Wochenende klettert die Temparatur noch ein wenig weiter in die Höhe. Zum letzten Mal in diesem Jahr, heißt es. Die Straßen sind voller Menschen. Junge Leute aus fernen und nicht so fernen Ländern stolpern in Horden über das Kopfsteinpflaster, Turnbeutel über den sonnenverbrannten Schultern, Bierflaschen in den klebrigen Händen. Es fühlt sich an wie Sommerferien, selbst wenn man arbeiten muss. Drinnen hält es keiner lange aus, draußen umhüllt einen die warme Luft wie Zuckerwatte. In meinem Kopf singt noch dazu unentwegt Hildegard Knef: „Lazy days, Leo days. August time? Not my time.“

Am Freitagabend bin ich mit C. verabredet. Während ich auf sie warte, lese ich eine Nachricht von M. Es geht um eine Veranstaltung im Voo Store, einem Kreuzberger Concept Store, bei der er am Vorabend war. „Es hat was von Mike Kelley“, schreibt er. Ich denke erst, er meinte das Publikum, doch auf dem Foto, das er dazu geschickt hat, ist ein wollener blau-weiß-bordeaux-gestreifter V-Ausschnitt abgebildet, ein Kragen ohne Pullover, den man an der Brust mit einer Schleife fixiert. Es ist ein Teil aus der Herbst-Winter-Kollektion des Designers Raf Simons, bei Voo bereits ausverkauft.

Die Leute um mich herum auf der Kottbusser Brücke tragen stattdessen ausgeleierte T-Shirts zu kurzen Hosen. C. kommt und wir gehen zum Eisladen in die Graefestraße, wo die Mandel-Granita fast so gut wie in Apulien schmeckt. Den Rest des Abends über ziehen wir ziellos umher. Weil es in den Bars viel zu stickig ist, sitzen wir auf Parkbänken und vor Spätis, trinken Jack-Daniels-Cola, unterhalten uns über den August und lassen das Treiben der anderen an uns vorbeiziehen.

Am Samstag gehen J. und ich am frühen Abend zur Einweihung eines Ladens in Kreuzberg. „GiGi macht jetzt irgendwas mit Design, du kennst ihn auch, von Eröffnungen“, hatte J. gesagt. Ich wusste nicht, von wem sie sprach, hatte aber sofort zugesagt. Weil J. Probleme mit der Bindehaut hat, trägt sie eine Sonnenbrille, aber keine Kontaktlinsen. Gemeinsam stolpern wir vom Kotti zur Grimmstraße. Gastgeber_in GiGi ist auch ohne Linsen nicht zu übersehen. Die roten Locken sind zur mondänen Mähne auftoupiert, die Augen dramatisch geschminkt. GiGi führt durch die Räume, in denen noch nicht viel mehr ist als eine Neonschrift an der Wand. „Repair Service“ sei eine Änderungsschneiderei für Spezialaufträge, aber nicht nur, sagt er. Zur Feier der Eröffnung gibt es Baklava und rosafarbene Bowle, die aus übergroßen Weingläsern in Sektkelche gefüllt wird. Wir bleiben nur auf ein Glas und ein bisschen Smalltalk mit den Künstlern, die hier herumstehen. Ich bringe J. nach Hause, bevor es dunkel wird.

Köpenick, Rudow!

Später am Abend im ://aboutblank lautet das Motto „Oscillate“ und seltsam unentschieden fühlt sich auch die Party an. Vielleicht sind viele doch am See geblieben. Ich treffe ein paar Freunde. Es geht um dies und das, vor allem aber um das Thema, das ganz Berlin umzutreiben scheint: die Unmöglichkeit, eine bezahlbare Bleibe im Ring zu bekommen. Einer berichtet von den Wohnungen, die er tagsüber besichtigt hat. Er schaut sich für seine Familie jetzt am Stadtrand um, in Reinickendorf, Köpenick, Rudow, an Orten, die er bislang nur vom Namen kennt.

Drinnen legt Zola Platten auf. Selig grinsend bewegen sich verschwitzte Körper zur Musik, „Push, push“, singt einer neben mir mit. Im Garten erzählt mir eine Bekannte von Bekannten, sie sei gerade auf einer der Sitzgelegenheiten eingeschlafen, wirkt aber schon wieder ganz munter. Wir sprechen über Partys und über Philosophie. „Sprache ist unsere größte Barriere“, sagt sie. Wir müssten einen Weg finden, Denken von der Sprache zu befreien. Ich blicke dem Rauch ihres Joints nach, der in den Zuckerwattehimmel steigt.

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