Früher waren Flohmärkte Unterhaltung. Heute spiegeln sie die Verhältnisse: Vom Wert der Ware
AM RAND
Klaus Irler
Früher waren Flohmärkte Veranstaltungen, auf denen zum Spaß konsumiert wurde. Die Leute wollten dort Dinge entdecken, von denen sie vorher nicht wussten, das sie sie haben möchten. Dinge, die etwas in ihnen wach rufen könnten: das Talent, Ukulele zu spielen. Die Idee für den Wandschmuck im Bad. Der neue Spaß mit Rollschuhen.
So unbeschwert, wie sie mal waren, sind die Flohmärkte heute nicht mehr. Beim Samstagsflohmarkt im Schanzenviertel rund um den alten Schlachthof sind die Stände nach gesellschaftlichem Status getrennt. Vermutlich ist die soziale Segregation dort nicht willentlich passiert. Sie hat sich einfach so ergeben.
Das Ergebnis sieht so aus: Westlich von der alten Rindermarkthalle ist der Antikmarkt, da verkaufen erfahrene Händler Einrichtungsgegenstände zu hohen Preisen. Zwischen Rindermarkthalle und Musikhaus ist dann ein Flohmarkt traditioneller Prägung, es gibt alles Mögliche aus Kellern und von Dachböden, Geschirr, Klamotten und Schmuck, dazu viele Schallplatten und Bücher. In seinem mittleren Teil ist der Markt ein Markt für ein wohlhabendes bildungsbürgerliches Publikum.
Im östlichen Teil folgt dann der Elendsflohmarkt: Arm aussehende Leute verkaufen auf der Marktstraße Zeug, das sich an der Grenze zum Müll befindet. Auf Decken liegen Berge von alten Handy-Adaptern, Kabeln, Schuhen und Klamotten. Für Leute, die genug Geld haben, ihre Kleidung auch neu zu kaufen, sind die Waren auf dem Elendsflohmarkt uninteressant. Der Elendsflohmarkt ist illegal, weil die Verkäufer keine Standgebühr zahlen. Zudem klagen die Anwohner über Müll, der am Ende des Tages zurückbleibt. Also schickt das Ordnungsamt immer wieder Polizisten, die die Händler wegschicken.
Natürlich kommen die Händler jeden Samstag wieder. Nirgendwo sonst sind so viele potenzielle Kunden unterwegs, wie beim Samstagsflohmarkt in der Schanze.
Beim Mittwochsflohmarkt an der Trabrennbahn in Bahrenfeld etwa ist nicht annähernd so viel los. Dafür gibt es dort eine ungewöhnliche Geschlechtertrennung: Die Männer versammeln sich vor Ständen mit Unterhaltungselektronik und Werkzeugen, sie stehen da wie am Rand eines Boxrings und betrachten die Performance des Verkäufers, der mit den Umherstehenden feilscht, bevor die überhaupt Interesse geäußert haben. Die Frauen versammeln sich an Klamottenständen, an dem die Verkäuferinnen unablässig die Ware hochhalten, Preise nennen und wieder fallen lassen. Auch das ist ein Schauspiel, weniger aggressiv, aber wortreich.
Der Mittwochsflohmarkt ist kein Elendsflohmarkt, aber er ist nicht weit davon entfernt. Der Mittwochsflohmarkt ist interessanter als der Samstagsflohmarkt, weil es auf ihm mehr um Kommunikation geht. Dafür spiegelt der Samstagsflohmarkt die sozialen Verhältnisse deutlicher.
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