der rote faden
: Die wehrhafte Demokratie zieht die Frauen am Strand aus

nächste wocheRobert Misik Foto: TAZ

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Daniel Schulz

Wie nennt man das eigentlich, wenn bewaffnete Typen eine Frau zwingen, ihre Klamotten auszuziehen. Vorbereitung einer Vergewaltigung? Nötigung? Öffentliche Demütigung? In Frankreich nennt man das „Polizeieinsatz“.

An einem Strand von Nizza haben drei Polizisten eine Frau gezwungen, Teile ihrer Kleidung abzulegen. Sie hatten die Macht des Staates hinter sich, die Stadt Nizza mit ihrem Verbot und den französischen Premierminister, der sagte, der Burkini sei ein Symbol einer „Gegengesellschaft, die auf einer Versklavung der Frau ­gründet“.

Nizza

Knallharter Schutz vor der Versklavung auch und vor allem gegen den Willen der Schutzbefohlenen. Die Muselmanin, das rückständige Weib, wusste noch nie, was gut für sie ist. Schon in den 50ern, als Frankreich noch Kolonialmacht war, gab es diese Plakate, die algerischen Fräuleins sollten mal den Schleier ablegen, sie seien doch so hübsch.

Und jetzt nach dem Anschlag von Nizza, da sollten wir das alle verstehen, oder? Dass sich Frankreich, die offene Gesellschaft, verteidigen muss. Das ist sie die wehrhafte Demokratie, sie zieht Frauen am Strand aus.

Bei der Religionspolizei in Teheran haben sie in dieser Woche vielleicht ein Fläschchen konfiszierten Prosecco hinten im Wachstübchen aufgemacht. Endlich hat der Westler kapiert, wie es geht. Mehr anziehen, statt ausziehen wäre zwar besser gewesen, aber Hauptsache, die Geisteshaltung ist da, an der Ideologie lässt sich arbeiten. Und an den Strafen.

Religionspolizei

Sind wir stolz darauf, dass das den Westen noch von Iran und Saudi-Arabien unterscheidet? Dass hier keine Frau in den Knast kommt, wenn sie sich falsch anzieht?

Man hört es schon wieder, dieses weinerliche „Aber die haben angefangen“. Solange die in – möglichst üblen Scheißstaat einsetzen – nicht zulassen, dass die Christen ihre Kirchen besuchen können, so lange können wir den Muslimen hier nicht alles durchgehen lassen. Richtig so, immer schön nach unten orientieren und hurtig voranschreiten, wir treffen uns dann mit den Frauenanzündern und -steinigern aus – hier ganz miesen Scheißstaat einsetzen – tief drunten im finsteren Tal.

Woher rührt eigentlich die erbärmliche Ansicht, man müsse auf etwas, was man als bedrohlich empfindet, so reagieren, wie der, von dem man sich bedroht fühlt? Wieso empfinden viele im Westen den extremen Islamismus als derartige gesellschaftliche Konkurrenz, dass selbst eine nur irgendwie an ihn erinnernde Bademode aus den Urlaubsfotos eliminiert werden muss?

Luckenwalde

Hat der Islamische Staat oder haben anverwandte, vom Westen anerkannte Religionsdiktaturen irgend etwas zu bieten, wodurch wir uns tatsächlich herausgefordert fühlen? Das So­zial­system für Vergewaltiger soll in Rakka vorbildlich sein. Ist es das?

Wenn man schon so besessen davon ist, sich die Welt als großen Ringkampf zwischen Filthy Islam und White Mild West vorzustellen, könnte man den Burkini auch als den ersten zarten Versuch begreifen, religiöse Kleidung an hiesige Liberalitäten anzupassen. Oder für die geistig ganz Simplen: Wir attraktiver! Die sich ändern! Uga. Uga.

Coole Kurden

Aber dann müssten wir ertragen können, dass im hiesigen gesellschaftlichen Landschaftsbild nicht alles so bleibt, wie wir es gewohnt sind, stimmt’s? Dass mehr Frauen das große westliche Versprechen, hier stünde prinzipiell jeder alles offen, einfach mal einlösen wollen. Wie die Frau, die im brandenburgischen Luckenwalde mit Kopftuch im Rathaus arbeiten wollte. Wer nicht aus Brandenburg kommt, wird vielleicht den Mut gar nicht begreifen, den es braucht, um sich das zu trauen. Und die Bürgermeisterin so: Nö. Wird uns die Unterdrückung von Frauen eigentlich sympathischer, wenn sie von Frauen praktiziert wird?

Vielleicht wollten sie in Nizza einfach nur Rache für den Anschlag. Das wäre ein niederes, aber verständliches Motiv. Aber warum Rache an den Frauen?

Beim IS kämpfen Männer, der Täter von Nizza war ein Mann. Männer haben die Syrienpolitik über Jahre derart inbrünstig in den Sand gesetzt, dass sie als Retorte für Motive und Kämpfer des islamisch aufgehübschten Minderwertigskeitskomplexes noch lange in Betrieb sein wird. Bis vor Kurzem fanden wir dort noch die Kurden cool, weil deren Frauen den radikalen Muslim abgeknallt haben, und zwar ordentlich gekleidet, ohne Kopftuch. Das war eine Wichsvorlage, mit der hier viele etwas anfangen konnten.

Gerade hat sich leider der Wind gedreht und Kopftuchfreund Erdoğan schießt auf diese Frauen. Aber sorry, das ist nun einmal richtige Realpolitik, Syrienkonflikt und so, da kann man nicht darauf achten, welche Frau jetzt was genau anhat.