: Sie werden ihn schlucken müssen
Fußball Brasilien jubelt, Neymar ist eingeschnappt. Trotz des Sieges im Finale hat die Seleção Sorgen
Aus Rio Andreas Behn
Nein, ich will nicht mehr. „Es war eine große Ehre, aber ab heute bin ich nicht mehr Kapitän der Nationalmannschaft“, sagte Matchwinner Neymar nach dem ersehnten 6:5-(1:1)-Sieg nach Elfmeterschießen über die deutsche Auswahl. Trainer Tite müsse sich einen anderen Spielführer suchen. „Für mich war es keine Last, ihr habt es zu einer so schweren Bürde gemacht.“
Die Reaktion des zuvor viel kritisierten Superstars zeigt, dass im brasilianischen Fußball auch nach der erfolgreichen Revanche für das blamable 1:7 bei der WM 2014 noch längst nicht alles im Lot ist. Das mäßige Auftreten der Seleção in der Vorrunde wurde vor allem Neymar angelastet. „Marta, Marta“, ätzte das Publikum beim Auftritt der Fußball-Männer. Es wurden Nationaltrikots gezeigt, auf denen der Schriftzug „Neymar“ durchgestrichen und durch die Starspielerin „Marta“ ersetzt worden war. Die Frauen spielten anfangs eben besser als die Männer, spektakulärer vor allem. Neymar reagierte eingeschnappt, mit der Presse wechselte er kein Wort mehr.
Nachdem er den letzten Elfmeter zum 5:4 verwandelt hatte, fiel Neymar weinend auf den Rasen und bleib dort lange liegen. Das ausverkaufte Maracanã tobte ohrenbetäubend, während sich der Star von der unsichtbaren Last befreite. Dann zitierte er sogar den Satz des früheren Erfolgstrainers Mário Zagallo: „Jetzt werden sie mich schlucken müssen.“ Soll heißen: Ab heute könnt ihr das Genörgel sein lassen.
In Brasilien ist die Erleichterung spürbar. Es war schon ein besonderer Sieg gegen die Deutschen, von vielen innig herbeigesehnt. Die olympische Goldmedaille ist der einzige Titel, den der Rekordweltmeister noch nie gewonnen hatte. Sie ist auch eine Art Versöhnung mit der Gastgeberrolle bei diesen Olympischen Spielen, die weder im Sportlichen noch im Organisatorischen so richtig peppig war. Und vor allem eine Revanche für das bittere WM-Aus im Halbfinale vor heimischem Publikum, das gerne, aber völlig zu Unrecht als nationales Trauma hochstilisiert wird; der Fußball hat im Zuge der Kommerzialisierung schon lange die Bedeutung verloren, die er einst für das Stimmungsleben im Land hatte.
Das Publikum im endlich wieder ausverkauften Stadion hatte seinen Spaß. Unermüdlich feuerte es das eigene Team an, mit der Zeit wurden auch die Pfiffe gegen den Gegner lauter. Buhrufe gab es vor allem, als die Deutschen schon lange vor Ende der regulären Spielzeit begannen, den Ball immer wieder lustlos in der eigenen Hälfte hin und her zu schieben. „Warum wollen die Deutschen das Spiel nicht gewinnen, offensiv waren sie doch klar überlegen“, fragten sich einige Fans.
In der Verlängerung und beim Elfmeterschießen gab es Pfiffe bei jeder deutschen Ballberührung. Reservespieler Robert Bauer war offenbar der Einzige, dem dies zu sehr auf die Nerven ging: Er streckte dem Publikum nach Spielende sieben Finger entgegen, eine Geste, die überall in Brasilien kommentiert wurde. Aber ohne Gehässigkeit, eher mit dem nachsichtigen Verständnis eines Siegers. Deutsche Spieler, ja der deutsche Fußball generell, werden in Lateinamerika sehr respektiert.
Für die Deutschen schien die Niederlage nicht sonderlich bitter. Im Deutschen Haus war die Stimmung gut, das Silber wurde fast als Sieg gefeiert. Trainer Horst Hrubesch lobte seine Mannschaft durchgehend. „Es fühlt sich an wie Gold“, sagte er. Und die Seleção? Für sie geht es mit der WM-Quali weiter. Brasilien steht auf Platz sechs und bangt um die Teilnahme in Russland. Bei der Copa América im Juni schieden die Brasilianer schon nach der Vorrunde aus. Zwar gibt es einen neuen Trainer, aber erst mal müssen Neymar und Co. mit sich ins Reine kommen. Trotz Olympia.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen