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Eine Welle der Hilfsbereitschaft

Italien Mehr als 250 Tote, noch mehr Verletzte in den Krankenhäusern und etwa 2.500 Obdachlose: Die Bilanz des Erdbebens in Mittelitalien fällt dramatischer aus als erwartet

Aus Rom Michael Braun

Auch diese erste Bilanz der Toten und Verletzten muss weiterhin als vorläufig gelten, denn am Donnerstag setzten die Helfer ihre Bergungsarbeiten fort. In den Trümmern des Hotels Roma in Amatrice zum Beispiel wurden von den Helfern im schlimmsten Fall noch etwa 20 Menschen vermutet. Zahlreiche Rettungsteams des Zivilschutzes, der Feuerwehren, der Armee, von Polizei und Carabi­nie­ri sind im Erdbebengebiet im Einsatz. Die Zahl der Helfer summiert sich inzwischen auf etwa 5.000 Personen.

Oft genug müssen sie weiterhin mit bloßen Händen graben, in der Hoffnung, noch Menschenleben zu retten, oft genug aber, um Tote zu bergen. Die verwinkelten Ortskerne sind förmlich kollabiert, die Straßen von meterhohem Schutt bedeckt; deshalb ist es oft unmöglich, Räumgeräte direkt an die eingestürzten Häuser heranzuführen. Doch auf der Suche nach Überlebenden kommt neben Spürhunden auch modernste Sonartechnik zum Einsatz.

Und so blieb bisher Kritik an den Rettungsmaßnahmen – wie sie zum Beispiel nach dem Erdbeben von L’Aquila im Jahr 2009 zu hören war – diesmal aus: Die Hilfe war schnell vor Ort, sie ist gut koordiniert und effizient. So wurden umgehend nicht nur Turnhallen für die Obdachlosen bereitgestellt, sondern auch zwei Zeltlager errichtet. Eine Welle der Hilfsbereitschaft gab es auch von den Bürgern der umliegenden Städte bis hin nach Rom. In langen Schlangen standen die Menschen an, um Blut zu spenden, viele brachten Lebensmittel, Kleidungsstücke, Decken – so viele, dass der Chef des Zivilschutzes schon nach einem Tag bat, von weiteren Sachspenden abzusehen und lieber Geld auf die Spendenkonten für die Opfer einzuzahlen.

Es ist eine bizarre Parallele, dass am Mittwoch in Amatrice und den umliegenden Orten die Erde um 3.36 Uhr bebte, fast zur gleichen Stunde wie am 6. April 2009 im nur 50 Kilometer entfernten L’Aquila, als die Katas­trophe um 3.32 Uhr hereinbrach. Auch in der Stärke sind die beiden Beben – sie erreichten jeweils 6,0 bis 6,2 auf der Richterskala – ähnlich, doch diesmal könnte die Zahl der Opfer sogar höher liegen als in L’Aquila mit seinen damals 309 Toten.

Diesmal allerdings traf es nicht eine 70.000-Einwohner-­Stadt wie L’Aquila, sondern klei­nere Dörfer. In den hauptsächlich betroffenen Orten, in denen die meisten Opfer zu beklagen sind, leben gerade einmal 5.000 Menschen. Zu ihnen kamen noch einmal einige tausend Sommergäste, Familien, die hier ihre Wurzeln haben, Kinder, die ihre Ferien bei den Großeltern verbrachten.

Bei der Suche kommen Spürhunde und modernste Sonartechnik zum Einsatz

Die zerstörerische Wucht des Bebens hat einerseits physikalische Gründe: Sein Zentrum lag nur etwa fünf bis sieben Kilometer unter der Erdoberfläche. Doch das Zerstörungswerk war auch möglich, weil Italien – jenseits der mittlerweile gut organisierten Notfallrettung – auf Beben einfach nicht vorbereitet ist. Etwa alle vier bis fünf Jahre trifft ein schweres Beben das Land, 2012 in der Emilia Romagna mit 27 Toten, 2009 in L’Aquila, 1997 ganz in der Nähe des jetzigen Katastrophengebiets in Umbrien, um nur einige Beispiele zu nennen. Weit katastrophalere Beben ereigneten sich in der Vergangenheit, 1908 in Messina, verbunden mit einem Tsunami (bis zu 100.000 Tote), 2015 in Avezzano (30.000 Tote), 1980 im Hinterland Neapels (3.000 Tote).

Und allein seit 1968 gab das Land etwa 150 Milliarden Euro für die Beseitigung von Erdbebenschäden aus, zwei Drittel davon aus der Regierungskasse. Vorbeugende Interventionen dagegen finden bisher nur in sehr bescheidenem Ausmaß statt. So gab es deshalb jetzt auch in Amatrice 2016 ein Déjà-vu: Das Krankenhaus musste wie in L’Aquila nach dem Beben wegen schwerer Schäden geräumt werden. Und die Schule, erst 2012 Erdbeben sichergemacht, brach völlig zusammen.

Etwa 70 Prozent der Wohnhäuser in Italien sind nicht erdbebensicher, und auch jede zweite Schule gilt als gefährdet, in einem Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung in hoch gefährdeten Gebieten lebt: Diese Zahlen rechnen die Medien jetzt wieder vor. Doch erst mal wird die Regierung wieder Soforthilfen für die Schäden des jüngsten Erdbebens beschließen.

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