piwik no script img

Wer sich über die deutsche Berichterstattung beklagt, hat den US-Olympiasender NBC noch nicht gesehenUsain Bolt, gleich nach der Werbung

Erwachsen

von Peter Unfried

Wer Delling und Poschmann für Probleme hält und die Olympia-Berichterstattung von ARD und ZDF für national fixiert, trivial und unterhaltungsgetrieben, der soll sich bitte mal die zeitversetzte Seifenopfer des US-amerikanischen Olympiasenders NBC anschauen. Es ist wie in vielem: Wir Deutsche klagen auf hohem Niveau. (Delling jetzt mal ausgenommen.)

Das Problem ist, dass man nicht streamen kann. ARD, ZDF und BBC kriegt man von den USA aus nicht. Und für den NBC-Livestream muss man einen Kabelvertrag haben. Aber das sollte bei Usain Bolt und den 100 Metern kein Problem sein, weil das größte Rennen der Olympischen Spiele doch sicher von NBC live gezeigt wird.

Denken wir. Und gehen vom Beach nach Hause, um kurz vor halb sechs zum Halbfinale vor dem Fernseher zu sitzen. Es kommen dann Vorrundenkämpfe von US-Boxern.

Na gut, Halbfinale. Aber das Finale würden sie doch nie im Leben ignorieren. Denken wir. Es kommt aber „Jeopardy“. Eine Quizsendung. In den Werbepausen wird das Finale angekündigt. In der „großen“ Olympia-Abendsendung.

Wir bleiben sitzen.

Endlich. Bolt wird eingeblendet. Dann kommt eine halbe Stunde Turmspringen. Nach jeweils fünf Minuten von Werbung unterbrochen. Aber when we come back, dann werde gleich Leichtathletik kommen, sagt Bob Costas ständig. Bob ist hier der Delling.

Irgendwann kommt nach der Werbung tatsächlich Leichtathletik. Drei Halbfinalläufe über 400 m. Dazwischen dreimal Werbung. When we come back, dann kommen die 100 m, sagt Bob. Als er wieder da ist, präzisiert er: Es kommen die Halbfinalläufe über 100 m. Aber noch eine „herzzerreißende Geschichte“. Bob hat vor Monaten ein Interview mit dem mehrfach des Dopings überführten US-Sprinter Justin Gatlin gemacht. Episch. Jedenfalls die Länge.

Ständig ertönt Pianomusik wie bei einer Trauerfeier. Am Ende fragt Bob Gatlin, was er machen würde, wenn er das Rennen gewänne, das zu diesem Zeitpunkt schon stundenlang Geschichte ist.

Er würde weinen, sagt Gatlin. Das ist die goldrichtige NBC-Antwort. Die Klaviertöne verklingen und jetzt schaltet Bob ins Stadion. Und dann kommt tatsächlich ein 100-m-Halbfinallauf. Aber ohne Bolt und ohne Gatlin. Bob sagt, die kämen gleich nach der Werbung.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen