„Dr. Google ist nicht das Ziel“

Notfälle Wenn im Offshore-Windpark jemand umkippt, kann der Rettungssanitäter nur bedingt helfen. Um bis zur Ankunft des Heli­kopters keine Zeit zu verlieren, zieht der Windeacare-Rettungsverbund an der Ostsee per Video Ärzte der Uni Oldenburg hinzu

Kann Verletzten aus der Entfernung über den Monitor helfen: Arzt aus dem Klinikum Oldenburg Foto: Ingo Wagner/dpa

Von Petra Schellen

Wer im Off­shore-Wind­park ar­bei­tet, lebt ge­fähr­lich. Und das nicht nur, weil er auf engstem Raum teils hals­bre­che­ri­sche Ope­ra­tio­nen durch­füh­ren muss. Son­dern auch, weil nicht si­cher ist, dass im Not­fall schnell qua­li­fi­zier­te Hilfe kommt. Denn Deutsch­lands Off­shore-Wind­parks der Nord­see lie­gen au­ßer­halb der „Zwölf-Mei­len-Zo­ne“. Dort, wo der Bund keine Rech­te hat und der „112“-Not­ruf nicht funk­tio­niert.

An sei­ner Statt müs­sen die Wind­park-Fir­men für Ar­beits­schutz und Erste Hilfe sorgen und sich hier­für pri­va­te Dienst­leis­ter su­chen. Doch auch wenn der Bund emp­fiehlt, ab 24 Per­so­nen pro Off­shore-Platt­form einen Ret­tungs­sa­ni­tä­ter vor­zu­hal­ten: Ver­pflich­tend ist bloß ein – gering qua­li­fi­zier­ter – Be­triebs­sa­ni­tä­ter pro Team. Und da Firmen generell gern sparen, schwankt die Qualität der Notfallversorgung. Dabei bie­tet etwa Win­deaca­re, ein Zu­sam­men­schluss von Ret­tungs­un­ter­neh­men, das Kom­plettpa­ket. Aber nicht jede Wind­park­firma bucht alles.

Und selbst wenn: Bis ein Helikopter von der Küste die Platt­form er­reicht, kann eine Stun­de vergehen. So lange kann ein Herz­in­farkt-Pa­ti­ent nicht war­ten, und die Befugnisse des Betriebs- oder Ret­tungs­sa­ni­tä­ters vor Ort reichen nicht.

Was also tun? Den Arzt per Mo­ni­tor zu­schal­ten, damit er sich Herz­fre­quenz, Sau­er­stoff­ver­sor­gung und Hirn­tä­tig­keit an­sieht, In­fu­sio­nen und Medikamente ver­ord­net. Das darf der Sa­ni­tä­ter nämlich nicht, und hier kommt die Te­le­me­di­zin ins Spiel. Sie könne, sagt Dirk Tenzer, Vor­stand des Kli­ni­kums der Uni­ver­si­tät Ol­den­burg, „die zeit­li­che Lücke bis zur An­kunft des Helikopters über­brü­cken“.

Seit An­fang 2015 hält das Kli­ni­kum, als eins der ers­ten in Deutsch­land, meh­re­re Te­le­me­di­zin-Mo­ni­to­re vor, für deren Be­die­nung man sie­ben Ärzte speziell aus­bil­de­te. Sie sind In­ne­re Me­di­zi­ner und An­äs­the­sis­ten, von denen jeweils einer Be­reit­schafts­dienst hat und bei einem Offshore-Not­ruf zum Mo­ni­tor eilt, um dem Sa­ni­tä­ter zu sagen, wel­che Me­di­ka­men­te er geben soll.

Ju­ris­tisch be­wegt sich das Ganze in einer Grau­zo­ne. Denn ei­gent­lich ist es hier­zu­lan­de ver­bo­ten, einem unbekannten Pa­ti­en­ten Me­di­zin zu ver­ord­nen. Weil es bei einem Not­fall aber nicht immer mög­lich ist, dass der Arzt den Pa­ti­en­ten vor­her per­sön­lich trifft, plä­diert Tenzer drin­gend dafür, die recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen zu än­dern. Auch der Bun­des­ver­band In­ter­net­me­di­zin for­dert die Bun­des­re­gie­rung auf, ab Juli 2017 nicht nur die Vi­deo-Sprech­stun­de in die ver­trag­s­ärzt­li­che Ver­sor­gung auf­zu­neh­men, son­dern auch die Be­hand­lung per Video.

Doch die Po­li­tik zö­gert. Groß ist die Furcht, der Pa­ti­ent könn­te der Gerätemedizin noch stär­ker ausgeliefert sein. Dabei wäre die Te­le­me­di­zin auch in länd­li­chen Re­gio­nen mit wenigen Ärzten eine sinn­vol­le Er­gän­zung, sagt Tenzer. Falls man ir­gend­wann die „Ge­mein­de­schwes­ter“ wieder ein­führt­e, könn­te sie für Dia­gno­se und Be­hand­lung per Video einen Arzt konsultieren.

Bei chro­nisch Kran­ken scheint eine Fern­be­hand­lung sinn­voll: Wenn der Arzt einen Diabetiker einmal gesehen und medikamentös eingestellt hat, kann er den weiteren Verlauf gut anhand elek­tro­nisch über­mit­tel­ter Daten ver­fol­gen.

Zum Rettungskonzept Windeacare zusammengeschlossen haben sich folgende Firmen:

Northern Helicopter GmbH: (Helicopter Emergency Medical Services)

Klinikum Oldenburg (Medizinische Leitung/Telemedizin-Zentrum)

Johanniter-Unfall-Hilfe (Offshore-Leitstelle sowie Rettungsassistenten)

IQmedworks GmbH (Interdisziplinäres Notfallmanagement)

EMS Maritime Offshore (Nautische Expertise/Alternativer Rettungsweg per Schiff)

Windea Offshore Gmbh & Co. KG (Vermarktung /Produktmanagement)

Al­ler­dings, die Ge­rä­te, die der Pa­ti­ent dafür braucht, kos­ten der­zeit rund 20.000 Euro, „was­ na­tür­lich die Kas­sen zah­len müs­sten“, sagt Tenzer. Trotzdem behöbe das nicht den Landarzt-Man­gel. Denn die nie­der­ge­las­se­nen Ärzte müss­ten die Fern­pa­ti­en­ten zu­sätz­lich zum nor­ma­len Pen­sum be­han­deln, also ent­we­der Über­stun­den schieben oder we­ni­ger Direkt-Pa­ti­en­ten annehmen.

Ab­ge­se­hen davon sind die Kran­ken meist die Äl­te­ren. „Dass sie mit der mo­der­nen Tech­nik gut zurechtkommen, ist zu be­zwei­feln“, sagt Axel Bauer, Me­di­zin­pro­fes­sor an der Uni Mann­heim, der von 2008 bis 2012 im Deut­schen Ethik­rat saß. Na­tür­lich sei es gut, per Video auch ferne Spe­zia­lis­ten be­fra­gen zu kön­nen. „Aber ei­gent­lich ist die physische Be­geg­nung Vor­aus­set­zung jeder Dia­gno­se.“ Wenn die nur noch auf Rönt­gen- und MRT-Auf­nah­men ba­sie­re, werde der Men­sch re­du­ziert „auf ein schrift­li­ches und bild­li­ches Sur­ro­gat“.

Auch be­ste­he die Ge­fahr einer De­pro­fes­sio­na­li­sie­rung, wenn sich eine auf Telemedizin spezialisierte Ärz­te­kas­te bilde, die nur noch berührungsfrei be­hand­le. Und auch wenn Dr. Google laut Tenzer nicht das Ziel ist: Wer will ga­ran­tie­ren, dass sich in der Te­le­me­di­zin nur se­riö­se An­bie­ter tum­meln? Der Bun­des­ver­band In­ter­net­me­di­zin for­dert die Re­gie­rung auf, „Qua­li­täts­kri­te­ri­en zu de­fi­nie­ren, die eine hoch­wer­ti­ge Fern­be­hand­lung si­cher­stel­len“. Wie man deren Einhaltung prü­fen will, sagt der Ver­band nicht.

Dirk Tenzer von der Uni Ol­den­burg ist derweil si­cher: In der Off­shore-Not­fall-Me­di­zin, wo voriges Jahr 114 Ein­sät­ze an­fie­len, ist das be­reits der Fall.