Der Allrounder Aus einem Kaff im Schwarzwald kam Moritz Krämer nach Berlin, um sich Musik und Film zu widmen. Inzwischen hat er mit seiner Band, Die Höchste Eisenbahn, mehrere Alben produziert, einer seiner Filme wurde auf der Berlinale gezeigt. Kurz: Der Mann hat’s drauf. Und doch bleibt die Angst, dass der große Durchbruch ausbleibt
: „Meine erste Kassette war von Tina Turner“

„Wenn wir im nächsten Sommer Festivals spielen dürfen und wenn bei der Tour Leute da sind“, dann sei das neue Album erfolgreich, sagt Wahl-Kreuzberger Moritz Krämer

Interview Jens Uthoff
Fotos Ksenia Les

taz: Moritz Krämer, hat Ihre Band mit dem neuen Album eine Art Hippie-Platte aufgenommen?

Moritz Krämer: Hippie-Platte? Wie meinen Sie das?

Beim Hören stellt sich manchmal so ein abgehangenes Fleetwood-Mac- und Eagles-Feeling ein. Also das, was heute oft „Yacht Rock“ genannt wird.

Vielleicht liegt es daran, dass Max’ Schlagzeug stellenweise so klingt [Max Schröder ist der Drummer, Anm. d. Red.]. Bei der Snare haben wir tatsächlich öfter gesagt: Max, mach mal so Fleetwood Mac-mäßig! Dann stehen bei uns im Proberaum noch ein Roland-Synthesizer und eine Orgel herum – die wollen natürlich auch benutzt werden und hinterlassen ihre Spuren auf dem Album.

Man findet insgesamt sehr viel Musikgeschichte in Ihren Songs: Singer-Songwriter, Soul, Disco und 80er-Sound. Gab es einen Masterplan, sich eines möglichst breiten Spektrums zu bedienen?

Nein, das nicht. Das Meiste ergibt sich einfach beim Proben. Manchmal hat man Vorbilder, aber das betrifft nur bestimmte Passagen. Die Geigen in dem Song „Nicht Atmen“ sollten zum Beispiel wie Motown-Geigen klingen, da kam mir Marvin Gayes „Ain’t No Mountain High Enough“ in den Sinn. In dem Stück „Beschweren“ haben wir die Solo-Gitarre immer „Alf“ genannt – weil die Passage für uns so klang wie das Saxofon in der „Alf“-Titelmelodie. Das sind eben unsere Assoziationen bei den Stücken.

Mit den Texten zusammen ergibt das oft einen hohen Harmoniefaktor, zum Beispiel in den Stücken „Stern“ oder „Blume“. Ist da die Kitschgefahr groß?

„Stern“ könnte als Neue-Deutsche-Welle-Song durchgehen. Wir haben irgendwann mit dem Handy einen Vorabendwurf aufgenommen, als gerade am Mischpult zufällig sehr viel Hall auf den Mikrofonen war. Das klang total geil, und es hat Spaß gemacht zu singen: „Wie ein Stern/ der seine Richtung nicht kennt/ geradeaus bis er am Himmel verbrennt.“ Es kam mir nicht kitschig vor, weil die Stimme durch den Hall eine Art Kostüm oder Verkleidung bekam. Als dieser Hall bei einer späteren Probe einmal nicht auf dem Gesang war, habe ich gemerkt, wie hart das an der Grenze ist.

Mit der ersten Single, „Lisbeth“, haben Sie einen Song über die erste Liebe geschrieben. Wie entstand dieses Lied?

Das ist die Geschichte eines jungen Paars, das bis ins hohe Alter zusammenbleibt. Ein Text, den ich mit meinen Großeltern verbinde, bei denen ist es genauso. Deswegen hat die Figur im Lied auch diesen altertümlichen Namen. Im Songtext lernt sich das Paar im Waisenhaus kennen. Die beiden sind zusammen, seit sie zwölf sind. Die Idee kam mir durch den Film „Der Junge mit dem Fahrrad“ von den Dardenne-Brüdern [Jean-Pierre und Luc Dardenne, Anm. d. Red.]. In der Handlung geht es um einen Jungen, der von seinem Vater in ein Waisenheim gegeben wird und nicht akzeptieren will, dass sein Vater sich nicht mehr für ihn interessiert.

Manche Texte schreiben Sie mit Francesco Wilking [Keyboarder und Sänger der Band, Anm. d. Red.] zusammen. Wie funktioniert das?

Wir haben uns während der Produktion mal eine Woche bei mir zu Hause eingeschlossen. Wie beim Ping Pong haben wir uns die Textzeilen dabei über ein Programm zugespielt: Jeder saß vor seinem elektronischen Gerät – dem iPad oder dem Smartphone –, und bei dem anderen sind neue Zeilen aufgepoppt. Auf diese Art und Weise haben wir viele Themen abgearbeitet. So entstanden Songs mit sehr vielen Strophen, die wir dann wieder kürzen mussten. Manchmal steht am Ende auch ein Refrain wie: „Wir haben so lange nachgedacht/ bis wir wütend waren“. In dem Fall war es wirklich so: Ich habe drei Tage lang versucht, einen Refrain einzusingen, und mir wollte einfach nicht einfallen, was ich eigentlich sagen möchte. Das liegt auch daran, dass man während der Produktion die ganze Zeit über Songzeilen brütet – als das Album fertiggestellt war, habe ich mich wie leer getextet gefühlt.

Hat sich für Sie das Texten und Songschreiben durch die veränderte politische Großwetterlage und das Erstarken des Rechtspopulismus in Deutschland geändert?

In der Musik ändert sich wenig, aber das Textschreiben beeinflusst diese Phänomene auf jeden Fall. Wie sich das genau widerspiegelt, kann ich gar nicht erklären. Aber wenn wir morgens von Ertrunkenen im Mittelmeer lesen und nachmittags beim Jammen irgendetwas auf die Musik singen, dann kommt das thematisch in den Songs vor. Nehmen Sie eine Figur wie Kette in dem Song „Stern“, da heißt es: „Kette ist ein Mann/ der traurig ist/ aber nach außen ist er furchtbar laut/ er hat sein Leben lang das Pech gesammelt/ gibt es mit beiden Händen wieder aus“. Die Figur hat etwas Brutales, und für mich hat der Song auch immer mit Menschengruppen zu tun gehabt, die zum Beispiel in Dresden demonstrieren.

Das heißt, Sie beziehen sich da konkret auf Pegida?

Moritz Krämer

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Der Typ: Moritz Krämer, 36, ist Musiker und Regisseur und lebt in Kreuzberg. Aufgewachsen ist er in Schönenberg, einem Dorf im Schwarzwald. Nach dem Abi­tur ging er nach Berlin. Krämer studierte zunächst an der Universität der Künste in den Fächern Video und Text, ehe er an die Deutsche Film- und Fernsehakademie wechselte, wo er seither Regie studiert. Als Musiker hat Krämer zunächst Songwriter-Stücke geschrieben und 2011 ein Soloalbum veröffentlicht („Wir können nix dafür“). Als Filme­macher hat er 2015 seinen ersten Langfilm, „Bube Stur“, in der „Perspektive Deutsches Kino“ bei der Berlinale präsentiert.

Die Band: Die Höchste Eisenbahn gründete sich 2011 als gemeinsames Projekt der beiden Songwriter Moritz Krämer und Francesco Wilking. Zunächst spielten die beiden Musiker in Duo-Besetzung, ehe 2012 Schlagzeuger Max Schröder (Tomte, Olli Schulz) und Bassist Felix Weigt (Kid Kopphausen) dazustießen. Nunmehr zur „richtigen“ Band gewachsen, veröffentlichte man zunächst eine EP, bei der auch Judith Holofernes mitwirkte („Unzufrieden“, 2012), und im Folgejahr das Debütalbum, „Schau in den Lauf, Hase“.

Das neue Album: „Wer bringt mich jetzt zu den Anderen“ (Tapete Records/Indigo) erscheint am kommenden Freitag. Live wird Die Höchste Eisenbahn am 13. November im Astra Kulturhaus Station machen. (jut)

Dieses ganze Pegida-Ding ist so konkret und in dem Konkreten dann so hässlich, dass wir versucht haben, das Thema universeller anzusprechen. Wir wollten zum Beispiel ohne den Ort Dresden auskommen, vielleicht auch, weil das Phänomen nicht an einen Ort gekoppelt sein muss.

Manchmal sind die Texte auch gar nicht so einfach zu entschlüsseln. In „Gierig“ habe ich etwa auch die Ambivalenz des Begriffs Gier herausgelesen.

Eigentlich begann das mit dieser Phrase „Wir müssen gierig bleiben“. Das sagen doch manchmal Leute in Interviews, und das ist positiv belegt, obwohl man ja bei Gier vielleicht im ersten Moment an Broker an der Wall Street denkt. Gleichzeitig ist es etwas Unschönes, wenn man jemandem sagt „Sei nicht so gierig“ und diesen Satz benutzt, um jemanden kleinzuhalten.

Gier kann ja auch positiv konnotiert sein.

Inwiefern?

In Neu-gier steckt es ja auch drin.

Das stimmt. Bei der Figur, der im Song gesagt wird „Sei nicht so gierig“, ist es vielleicht diese Neugier auf ein anderes Leben, ein Ausbrechen aus gewohnten Bahnen. Man sagt ihr aber, sie solle genügsam bleiben. Da könnte auch noch dieser christliche Demutgedanke mit drin sein. Du hast doch so viel, dir geht’s doch so gut, sei bescheiden. Da fühlt man sich gleich schlecht und in die Enge getrieben, wenn man nicht genügsam ist.

Ihre Texte werden oft als melancholisch bis traurig beschrieben. Können Sie das nachvollziehen?

Ich finde es gut, wenn so eine Sehnsucht in Musik und in den Texten vorkommt. Bei dem Begriff Melancholie klingt immer etwas Trauriges mit, Sehnsucht muss aber nichts Trauriges sein. Außerdem verbindet man Melancholie oft mit dem Genre Singer-Songwriter. Unser Album ist aber stark orchestriert und instrumentiert, voll und dicht. Da passt das Attribut melancholisch nicht so gut.

Neben der Musik sind Sie ja auch noch als Filmemacher tätig. Wie verträgt sich das mit der Arbeit in der Band?

In der Band ist es bei allen so, dass sie noch viele andere Dinge machen, von daher ist das Alltag für uns alle. Und ich bin ja noch an der Filmhochschule eingeschrieben, bin also noch Student.

Sind Sie der letzte lebende Langzeitstudent?

Nein, ich studiere an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Dort funktioniert es so, dass die Regiestudenten die Hochschule üblicherweise erst nach neun bis zwölf Jahren verlassen. Ich bereite gerade meinen Abschlussfilm vor. Ich habe da eine Weile dran geschrieben, ein Drehbuchautor schreibt nun eine finale Fassung.

„Ich finde es gut, wenn so eine Sehnsucht in Musik undin den Texten vorkommt, Sehnsucht muss nichts Trauriges sein“

Worum wird es gehen?

Eigentlich habe ich immer gesagt: Es wird eine Musikerkomödie. Jetzt frage ich mich, ob der Film wirklich witzig ist. Dar­in ist ein gealterter Musiker auf Tour, der nie so richtig den Durchbruch geschafft hat. Man könnte da an jemanden wie Daniel Johnston denken: Der ist für viele eine wichtige Referenz, aber nie durchgestartet. In der Filmhandlung hat der Musiker in seinem Alter eigentlich gar keine Lust mehr, in den kleinen Clubs zu spielen. Plötzlich wird er wieder als Vorband einer jungen erfolgreichen Band – wie Wanda oder so – engagiert. Das will er auch nicht machen, muss es aber. Denn er weiß nicht, ob er irgendwann bei Freunden, die was Solideres gemacht haben als er, anklopfen und fragen kann: „Kann ich wohl ein paar Nächte bei dir pennen? Ich habe leider vergessen, in die Rentenkasse einzuzahlen.“ So eine Figur ist es.

Wie viele persönliche Ängste sind da verarbeitet?

(lacht) Natürlich frage ich mich schon manchmal, wie das so ist, wenn man sich wenig Gedanken macht und immer vor sich hin arbeitet im prekären Bereich. Wenn die Rentenversicherungsschreiben kommen, schrecke ich immer etwas auf. Da steht dann sinngemäß drin: Wenn du dir jetzt’ne Hand abhackst, bekommst Du 125 Euro pro Monat oder so. Die machen einen immer fertig.

Ihr Film behandelt das Touren – was ist für Sie das Schlimmste am Touren?

Tagsüber mit dem Sprinter auf der Autobahn zu fahren. Schrecklich. Man dämmert so vor sich hin, ist immer ein ­bisschen übernächtigt. Entweder ist es zu heiß oder zu kalt oder supernass, und man muss an den Raststätten in den Matsch raus. Ich nehme immer Bücher mit, aber ich kann mich im Tourbulli nicht aufs Lesen konzentrieren.

Welches sind die cooleren Augenblicke?

Ich freue mich immer auf das Ankommen. Dann ist vielleicht noch ein bisschen Zeit, und man kann sich die Stadt angucken. Häufig sind es über die Jahre immer die dieselben Veranstalter. Dann kennt man die Leute schon, und es ist nett, wenn man die wiedertrifft.

Zurück zu Ihren Filmen. Gibt es Regisseure, die Sie besonders geprägt haben?

Moritz Krämer über seine persönlichen Ängste:

Wenn die Rentenversicherungsschreiben kommen, schrecke ich immer etwas auf. Die machen einen fertig

Die Dardenne-Brüder habe ich ja schon erwähnt. Diese Art von Filmen mag ich: Jemand hat ein Problem, und die Kamera rennt der Person hinterher; es gibt einen einfachen Konflikt. Ich mag auch sehr gern überhöhte Filme wie zum Beispiel die von Wes Anderson. Auch verstörende Filme wie die des amerikanischem Regisseurs Todd Solondz gefallen mir, etwa „Happiness“. Die sind witzig und gleichzeitig traurig, in ihnen steckt jede Menge schwarzer Humor. Am wenigsten gucke ich Horrorfilme und Thriller.

Welche Musik hat Sie am stärksten geprägt?

Meine erste Kassette war von Tina Turner. Und dann hat mich sicher der La-Boum-Soundtrack geprägt; das war auch der Film, den ich bestimmt vierzigmal gesehen habe. Vielleicht war Sophie Marceau sogar meine erste Liebe [Sophie Marceau ist die Hauptdarstellerin in „La Boum – Die Fete“, Anm. d. Red.]. Den „Bodyguard“-Soundtrack habe ich auch sehr oft gehört – allerdings weniger, weil er gut war, sondern weil ich dachte, dass er meiner Jugendliebe Carola gefällt. Dazu kommen Punk-/Ska-Bands wie Operation Ivy oder Rancid, Joni Mitchell und Bob Dylan, die Talking Heads und Curtis Mayfield. Und so weiter: Prefab Sprout, Ani Di­Franco, Chet Baker, Nick Drake, New Order, The Pharcyde. Sie merken schon, da gibt es absolut keinen roten Faden.

Die Höchste Eisenbahn wird gern mal als Allstar-Band bezeichnet, weil man Sie alle aus anderen Kontexten kennt. Gleichzeitig sind Sie eher unbekannt geblieben. Glauben Sie, das ändert sich mit dem neuen Album?

Ich glaube, es wird auf die wenigen alternativen Radiosender hinauslaufen, die uns spielen. Wir schreiben ja nicht ­unbedingt Lieder, für die sich die großen Radiostationen interessieren. Das wird wohl erst mal in so einem Indie-Kontext bleiben.

Wann würden Sie das Album als erfolgreich bezeichnen?

Wenn wir im nächsten Sommer Festivals spielen dürfen, freuen wir uns. Und wenn bei der Tour Leute da sind – das macht gute Laune. Die größten Downer sind immer, wenn bei Touren etwas nicht läuft. Als Band sind wir ja wie ein kleines Unternehmen, das Booking, Sprit, Licht und Ton bezahlen muss. Es fühlt sich natürlich besser an, wenn Leute zu den Konzerten kommen, aber das ist ja klar. Dafür habe ich jetzt so viele Sätze gebraucht, um so etwas Banales zu sagen.