Gottverdammt froh, dass es diese Orte noch gibt
: Weltfrieden. Wohlergehen. Weiße Stiefel

ausgehen und rumstehen

von Jenni Zylka

Das zurückliegende war bekanntlich das Wochenende der Pestiziden, äh, Persikoden, äh, Pessimiden. Quatsch, Perseiden heißen die Dinger, doch ich nenne sie Jubelperseiden, weil es schließlich wunderbar ist, wenn Sternschnuppen vom Himmel regnen und man sich einen Herzenswunsch nach dem anderen erfüllen kann: Weltfrieden. Wohlergehen. Weiße Stiefel.

Aber Freitagnacht blieb der Himmel bedeckt, und wir darum drinnen, in einer Bar an der Schlesischen Straße, in der uns die Thekenkraft mit Namen begrüßte, was immer eine feine Sache ist. Den Höhepunkt des Abends bildete ein vor der offenen Tür haltender, mit Blaulicht blinkender Notarztwagen, der uns zwar mal wieder unschön unsere Vergänglichkeit bewusst machte, aber auch einen irren Lichteffekt für die Tanzfläche lieferte: Strobe Light, sangen Kate Pierson, Cindy Wilson und ich meiner Begleitung ins Ohr, uh-oohoohoo-hoohooo, Strobe Light. Und hofften, dass es nichts Schlimmes wäre, da draußen, sondern nur ein Tourist, der vor Schreck ohnmächtig wird, weil im Veggie-Döner ein Tofuknochen steckt.

Samstag sollte der Nachthimmel klarer werden. Wir beobachteten ihn gespannt ab der Dämmerung, erst vom neuen kleinen Dumplings-Restaurant um die Ecke aus, dessen Kellnerin einen zarten Teelichthalter auf unseren Tisch stellte, die Kerze anzündete und aufgeregt lispelte: „Ssstimmung!“ Ich nieste das Licht zwei Minuten später aus, die Stimmung ging dementsprechend kurz in den Keller, aber die Kellnerin kam stante pede stabfeuerzeugklickend herbeigeeilt und rettete.Später, in pechschwarzer Nacht, schmuggelten wir uns auf die Dachterrasse einer Charlottenburger Chi-Chi-Bar, von der aus man einen prachtvollen Blick auf den Teil der Gedächtniskirche hat, auf dem Emil und die Detektive am Anfang der Verfilmung von 1954 (nach einem Drehbuch von Billy Wilder) herumhängen und PassantInnen ärgern. Wir stellten uns neben die Gedächtniskirchen-Selfie-Truppen auf den Balkon, legten die Köpfe in die Nacken und hofften.

Aber: wieder nüscht. Ich traute mich kaum auf die Toilette – was, wenn der Meteoritenschwarm tatsächlich genau in den drei Minuten vorbeischnarrt und ich gerade noch das letzte Schweifzucken mitbekomme, wenn ich mit leerer Blase zurückkehre? Das würde doch nicht mal für Frieden in einem einzigen Land reichen?! Da, jetzt seh ich eine, aus den Augenwinkeln, schrie meine Begleitung gegen 1.30 Uhr – es hatte aber doch nur einer der Dänen neben uns abgeascht.

Prophylaktisch wünschte ich mir trotzdem ein paar harmlosere Dinge, schaden kann das ja nicht, und schaute später zu Hause bis früh am Morgen den wie nervöse, teure Rennpferde wirkenden AthletInnen in meinem Fernseher zu. Glücklicherweise nicht den echten Pferden – Doping hin oder her, ich liebe alle olympischen Sportarten, außer Reiten. Lieber gucke ich zwei Stunden Kleinkaliber-Liegendschießen mit den Favoriten „Li Shoo-ting“ und „Chang Schie-ßen“ aus China, hihi, als das alberne Dressur- oder Springreiten mit dem sexistischen ARD-Kommentator.

Am Sonntag gingen wir im Kreuzberg-Neuköllner Park unseres Vertrauens zwischen Dealern und sich sonnenden Frühbiertrinkern Mittag essen: ein Stück Rhabarberstreusel mit Sahne und einen Instant-Cappucchino. Hier kriegt man noch eine geknallt, wenn man nach laktosefrei fragt, und wird (mit Kleinkaliber?) erschossen, wenn man alkfreies Bier bestellt. Ich sag ja nicht, dass es immer und überall so sein soll. Aber ich bin gottverdammt froh, dass es diese Orte noch gibt. Und ich möchte extra nicht verraten, wie der Imbiss heißt, falls einer der Dänen deutsche Zeitungen liest.