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Rechtsvertreter Der Bremer Anwalt Jan Sürig arbeitet seit Jahren im Bereich des Asyl- und Ausländerrechts. Dieser sei stark von Stimmungen abhängig, sagt er. Laufend werde an der Schraube der Repression gedreht„Im Bereich des Glücksspiels“

Foto: Miguel Ferraz

Interview Jean-Philipp Baeck

taz: Herr Sürig, schlägt sich die „Willkommenskultur“ in den deutschen Asyl- und Ausländergesetzen nieder?

Jan Sürig: In der Außendarstellung legt die Bundesregierung wert darauf, dass die Bundesrepublik wahnsinnig aufnahmebereit sei. Und es wurden ja auch Hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen. Aber gleichzeitig hat es 2015 und Anfang 2016 die gravierendsten Gesetzesverschärfungen im Aufenthalts- und Asylrecht seit Jahrzehnten gegeben.

Meinen Sie die Einstufung diverser Länder zu „sicheren Herkunftsländern“?

Zum Beispiel. Damit einher gingen Sonderregelungen für Menschen aus diesen Staaten: etwa eine erleichterte Verfügung von Arbeitsverboten. Daneben wurden unangekündigte Abschiebungen eingeführt. Alles Sachen, die verfassungsrechtlich zweifelhaft sind. Man muss sich vor Augen halten: Selbst eine Zwangsvollstreckung von 50 Euro muss vom Gerichtsvollzieher vorher angekündigt werden. Nicht aber Abschiebungen, die den Leuten ihre komplette Lebensgrundlage entziehen? Das ist ein völliges Missverhältnis. Es macht mir Angst, wie sehr die Schraube der Repression angezogen wird.

Warum gibt es dagegen wenig Widerspruch?

Dass mehr Flüchtlinge da sind, kann jeder auf der Straße sehen. Die schärferen Gesetze aber nimmt man nur wahr, wenn man sich auf die Leute einlässt und mit ihnen als ehrenamtlicher Unterstützer oder beruflich zu tun hat.

Sind Asyl- und Aufenthaltsgesetze stärker als andere Rechtsbereiche der politischen Stimmung unterworfen?

Auf jeden Fall. Gesetzesverschärfungen werden auch auf Grundlage von Desinformation gefordert: Etwa, wenn der bayerische Innenminister kurz nach dem Anschlag in München schon schärfere Migrationsgesetze fordert, aber lange nicht erwähnt wird, dass alle Opfer von München einen Migrationshintergrund hatten. Auch die Einführung der sogenannten „sicheren Herkunftsländer“ gehört dazu. Das treibt Roma auf den Balkan in eine vollkommen aussichtslose Lage. Es gibt Familien, die seit Jahrzehnten auf der Flucht sind. Verschärfungen lösen nichts, aber werden abhängig von der politischen Stimmung benutzt, um die Illusion aufrechtzuerhalten, die Situation sei gelöst, wenn man einfach keinen rein lässt.

Wäre es denn die Lösung, alle Menschen reinzulassen?

Auf jeden Fall sollte man die, die da sind, menschlich behandeln. Darum geht es. Dazu gehört menschenwürdiger Wohnraum statt monatelanges Zelten, faire Verfahren oder auch die Möglichkeit, zu arbeiten.

Werden Flüchtlinge nicht menschenwürdig behandelt?

Jedenfalls hinkt man den Möglichkeiten meilenweit hinterher. Es gibt sicherlich lobenswerte Bemühungen, die aber vor allem auf anerkannte Flüchtlinge abzielen und auf jene Leute, die in die Schublade eines „erfolgversprechenden“ Asylverfahrens gesteckt werden. Und selbst da gibt es Regelungen, die ich für völlig sinnlos halte, etwa die Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge. Die Verschärfungen gehen so schnell, dass ich als Anwalt seit ungefähr einem Jahr nicht mehr mit gedruckten Gesetzestexten, sondern nur noch mit Internetausdrucken arbeite, um bei jedem Verfahren auf dem neuesten Stand zu sein.

Was kritisieren Sie an der Wohnsitzauflage?

Ein Flüchtling wird einer strukturschwachen Gegend zugewiesen, wo es allein schon zum nächsten Sprachkurs viele Kilometer sein können und wo eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht. Da soll er dann so lange bleiben, bis er Arbeit hat. Das bedient Ressentiments und verfestigt sie.

Inwiefern?

Leute, die in einer Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit wohnen, finden natürlich schwerer einen Job. Damit fühlen sich Rechte wieder in ihrem Vorurteil bestätigt. Es wird immer nur gesehen, dass Menschen vormittags offenkundig unbeschäftigt vor dem Asylbewerberheim stehen, aber nicht, woran das liegt. Arbeitsverbote, etwa bei Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“, von denen in der Praxis vor allem Roma betroffen sind, führen auf eine ganz makabre Weise dazu, dass plötzlich das Feindbild des „Arbeitsscheuen“ reproduziert wird.

Was kann man dem als Anwalt entgegensetzen?

Man kann zumindest erreichen, dass die Leute ihre Rechte wahrnehmen. Es kommt sehr oft vor, dass die Behörden darüber nicht ausreichend informieren. Und es gibt Fälle krassen Unrechts, die zwar nicht die Regel sind, aber leider nennenswert häufig vorkommen.

Haben Sie dafür Beispiele?

Derzeit bin ich mit einem Verfahren gegen den Landkreis Emsland befasst, bei dem die Ausländerbehörde eine minderjährige Schwangere abschieben will. Oder im Kreis Rotenburg: Da hat die Ausländerbehörde bei der Schulverwaltung der Stadt Visselhövede angerufen und gesagt, es gebe ein Kind, das keine Duldung habe, also „illegal“ sei – was ein völlig schräger Kampfbegriff ist. Die Schulleiterin wurde unter Druck gesetzt und schloss das Kind aus der Schule aus. Dabei gibt es selbstverständlich ein Menschenrecht auf Bildung, unabhängig vom Aufenthaltsstatus.

Wieso kommt es zu Rechtsbrüchen, die über die scharfen Regeln noch hinausgehen?

Es gibt ein Ordnungsdenken, nach dem jemand, der diesen oder jenen Aufenthaltsstatus nicht hat, bestimmte andere fundamentale Rechte schon gar nicht haben dürfe. Das geht quer durch alle Parteien. Vom rechten Rand der CDU, der in Teilen Niedersachsen von der AfD nicht zu unterscheiden ist, über die SPD mit Köpfen wie Sarrazin bis zu Sarah Wagenknecht von der Linkspartei, die etwas von „Gastrecht“ faselt: Darin steckt die rassistische Forderung, dass, wer hierherkommt, sich auf einen niedrigeren Rechtsstandard zu beschränken hat.

Ist es für Sie eine politische Arbeit, die Sie als Anwalt machen?

Sicherlich. Bestimmte Dinge wünsche ich mir, die sich vor Gerichten nicht durchsetzen lassen, sondern auf anderen politischen Ebenen – etwa in Bezug auf die Einbürgerung von Kindern. In anderen Bereichen kann man politische Forderungen in Rechtssprache umsetzen.

Ist das ein Kampf gegen Windmühlen?

Mal mehr, mal weniger, vor allem aber im Asylrecht. Anders als in anderen Rechtsgebieten des Verwaltungsrechts hat man dort insbesondere bei „sicheren“ Herkunftsländern keine Berufungsmöglichkeit und in der Regel nur einen Einzelrichter. Der hat nur noch den blauen Himmel über sich und kann über alles entscheiden. Die Möglichkeit, dagegen mit einer Verfassungsbeschwerde weiterzukommen, geht eher in den Bereich von Glücksspiel. Dabei läuft sehr viel falsch.

Jean-Philipp Baeck
Jan Sürig

50, Rechtsanwalt in Bremen mit einem Schwerpunkt auf Migrationsrecht. Er ist Ausbilder im Fachanwaltslehrgang „Migrationsrecht“ des Republikanischen Anwaltsvereins.

Empfinden Sie es als eine große Verantwortung, die auf Ihren Schultern lastet?

Es ist belastend. Man hat auch ständig mit Leuten in einem Ausnahmezustand zu tun, die oft psychisch krank sind. Trotzdem eine rationale Strategie zu entwickeln, ist nicht immer einfach.

Ist Ihre Arbeitsbelastung seit Sommer letzten Jahres gestiegen?

Es wäre noch mehr, wenn ich nicht teilweise über Wochen keine neuen Mandate annehmen würde. Vielen Kolleginnen und Kollegen geht es genauso.

Also gibt es zu wenig Migrationsrechts-Anwälte?

Ich sage es mal andersherum: Ich habe absolut keine Konkurrenzangst.

Seit März 2016 gibt es den neuen „Fachanwalt für Migrationsrecht“. Was ändert das?

Nach meiner Einschätzung nicht viel. Die Kollegen Rolf Stahmann und Christoph von Planta aus Berlin haben sich seit Jahren bei der Bundesanwaltskammer um die Einführung bemüht. „Fachanwalt“ ist eine geschützte Berufsbezeichnung, für die man einen Kurs absolvieren, Klausuren bestehen und eine gesetzlich vorgegebene Fallzahl nachweisen muss. So soll eine gewisse Qualifikation sichergestellt werden.

Ist es nicht auch eine Anerkennung des Rechtsgebietes?

Noch im Jahr 2015 wurde ein Vorstoß, den Fachanwaltstitel einzuführen, von der Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer mit der diskriminierenden Begründung abgelehnt, es würde dafür kein Bedarf bestehen.

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