Drohende Schlammschlacht

FUSSBALL Julian Draxler will nach nur einer Saison den VfL Wolfsburg verlassen, obwohl sein Vertrag noch bis 2020 läuft.Der Nationalspieler beruft sich auf ein mündliches Versprechen des Vereins. Der Klub indes plant fest weiter mit ihm

Nur weg: Draxler (l.) möchte dem Beispiel von Schürrle folgen Foto: imago

WOLFSBURG taz | Auf die Fotografen und Kameraleute, die im Auftrag der Deutschen Fußball Liga (DFL) angereist waren, wartete eine denkbar schwere Aufgabe. Ihr Auftrag: den VfL Wolfsburg und seinen wichtigsten Spieler so in Szene zu setzen, dass der Verein ein möglichst sympathisches Bild abgibt. Aber wie soll das gehen an solch einem Tag? Julian Draxler, der derzeit wertvollste Spieler im Team, ist am Mittwoch auf Distanz zu seinem Verein gegangen. Sein Lächeln wird in den nächsten Tagen und Wochen wohl eher gequält bleiben. Denn der Nationalspieler will Wolfsburg nach nur einer Saison unbedingt verlassen – und bringt damit einen Verein gegen sich auf, an den er sich per Arbeitsvertrag und mit vielen warmen Worten bis 2020 gebunden hat.

In dreieinhalb Wochen beginnt die neue Saison. An Deutschlands Stammtischen wird schon mal vorab das grundlegende Thema diskutiert werden, warum ein Profi von heute überhaupt noch einen Arbeitsvertrag unterschreibt, der ihn langfristig bindet. „Ich freue mich auf den Verein und glaube, dass ich in allen Bereichen hier reifen kann“: mit diesen Worten ist Draxler vor einem Jahr in Wolfsburg angetreten, nachdem er seinen Heimatverein FC Schalke 04 wissen ließ, dass er eine Veränderung brauche. Eine Spielzeit später wiederholt sich das Spektakel und hat gute Chancen, als öffentlich ausgetragene Schlammschlacht zu enden.

Draxler behauptet, dass ihm Wolfsburgs Geschäftsführer Klaus Allofs und Trainer Dieter Hecking mündlich zugesagt hätten, dass er im Fall der Fälle vorzeitig den VfL verlassen dürfe. Vorwürfe wie diese per Bild-Interview zu platzieren – das ist eine neue Form der Eskalation, deren sich unzufriedene Profis bedienen.

Wer auch immer für oder mit Draxler diese Strategie erarbeitet hat: Er nimmt in Kauf, dass eine erneute Luftveränderung eines ohne Frage hochbegabten Spielers mit einem gehörigen Imageverlust einhergeht. „Wir erwarten Einsatzbereitschaft und Leistung, auch wenn es mal nicht läuft – und keine Wechselgedenken. So eine Einstellung gefällt mir nicht“, sagt VfL-Cheftrainer Dieter Hecking. Er wird sich aber auch fragen lassen müssen, warum sein Spieler­kader an einer seltsamen Häufung von Fernweh leidet. Draxler wäre nach Naldo (Schalke 04), André Schürrle (Borussia Dortmund) und Max Kruse (Werder Bremen) bereits der vierte Mann mit überre­gionaler Wirkung, der Wolfsburg verlassen will.

Mit dem Tauziehen um hoffnungsvolle oder herausragende Spieler kennt sich der VfL Wolfsburg bestens aus. Auf dem Weg zur deutschen Meisterschaft 2009 war es vor allem dem Bosnier Edin Dzeko zu verdanken, dass der Verein aus dem Niedersächsischen europaweit bestaunt wurde. Spieler bockig, Spieler für viel Geld verkauft: Auch den Belgier Kevin De ­Bruyne zog es trotz Erfolgen fort. Für Draxler soll noch gar kein konkretes Angebot vorliegen. Mit seinem Verkauf ließe sich eine Transfersumme von bis zu 60 Millionen Euro erzielen. Aber einen weiteren Spieler seiner Güte abgeben zu müssen, passt nicht zu den internationalen Zielen eines Vereins, der vor vier Monaten noch im Viertelfinale der Champions League stand.

In Wolfsburg wird man sich sicherlich die Frage stellen, wie oft man sich noch als etablierter und zahlungskräftiger Bundesligist von eigenen Spielern vorführen lassen will. „Ich kann unsere Fans beruhigen“ – mit diesen Worten hatte Allofs noch vor wenigen Tagen den Verbleib von Draxler öffentlichkeitswirksam manifestieren wollen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass dieses Wunschdenken nicht in ­letzter Konsequenz mit dem Spieler selbst abgestimmt war.

Christian Otto