CDU für nachträglichen Gesetzes-Check

Direkte Demokratie In Thüringen schlägt ausgerechnet die Union das „Fakultative Referendum“ vor

Referenden könnten die Debattenkultur befördern, hofft die CDU Foto: dpa

ERFURT taz | Während der parlamentarischen Sommerferien schmort im Innen- und Justizausschuss des Thüringer Landtages ein Antrag der CDU, der mehr als nur eine Änderung der Landesverfassung anstrebt. Mit der Einführung des sogenannten Fakultativen Referendums würde der Freistaat als erstes deutsches Flächenland dem Schweizer Vorbild folgen und Gesetzgebungsverfahren eine plebiszitäre Korrektur­option hinzufügen.

Nach den Vorstellungen der Thüringer Union könnten dann nur 2,5 Prozent der Wahlberechtigten binnen 100 Tagen nach einem Abgeordnetenvotum dessen Überprüfung durch Volksentscheid verlangen. Lediglich die Stadtstaaten Bremen und Hamburg erlauben bislang eine ähnliche Form der nachträglichen Einflussnahme auf Parlamentsbeschlüsse.

Die CDU wolle erreichen, „dass die Bürger künftig das letzte Wort haben bei Gesetzen, die im Landtag beschlossen werden – wenn sie es denn wollen“, sagte CDU-Landtagsfraktionschef und Oppositionsführer Mike Mohring.

CDU-Fraktionssprecher Karl-Eckhard Hahn räumt ein, dass der Streit um die Gebietsreform, das umfassendste Projekt der seit Herbst 2014 amtierenden rot-rot-grünen Landesregierung, den Anlass für die Initiative der oppositionellen Union gab. Unmittelbar vor der Sommerpause brachte die CDU den Antrag ein, Mitte August will sie auf ihrer Sommerklausur den Entwurf eines Durchführungs­gesetzes beraten.

„Wir stärken damit nicht nur die direkte Demokratie, sondern zugleich die repräsentative“, wirbt Hahn. Denn die Option, unter Umständen von der Bevölkerung nachträglich und konkret überprüft zu werden, erhöhe den Druck auf die Parlamentarier, sinnvolle und gut abgestimmte Gesetze zu beraten und zu beschließen. „Das könnte sich positiv sowohl auf die Debattenkultur als auch auf den Dialog mit den Bürgern auswirken“, meint er.

2,5 Prozent der Stimmberechtigten entsprechen etwa 50.000 Thüringer Einwohnern, deren Unterschriften innerhalb eines Vierteljahres gesammelt werden müssten. Bei einem dann fälligen Volksentscheid müsste aber nach wie vor ein Quorum von einem Viertel der Wahlberechtigten ein Gesetz kippen oder bestätigen. Es wären also etwa 460.000 Voten nötig. „Da muss das Thema schon wirklich brennen, um so viele Leute zu mobilisieren“, räumt CDU-Mann Hahn ein.

In der Dreierkoalition wird der Vorstoß mit Erstaunen registriert. Denn die CDU galt bisher nicht eben als leidenschaftliche Verfechterin von mehr direkter Demokratie. Es bedurfte erst eines Volksbegehrens, ehe der Landtag noch in der CDU-Regierungszeit 2009 die Hürden für Bürgerbegehren und Volksentscheide im Freistaat senkte.

Die neue R2G-Koalition nahm im Vorjahr eine Überarbeitung des gesamten Regelwerks für die direkte Bürgerbeteiligung in Angriff. Die Linksparteiabgeordnete Anja Müller begrüßte denn auch grundsätzlich „die Einführung weiterer direktdemokratischer Elemente“. Der CDU-Gesetzentwurf sei jedoch „eine Mogelpackung, die nur viel Sturm im Wasserglas macht“. Um wirksam zu sein, müsse „auch der Finanz- und Abgabenvorbehalt aus der Verfassung gestrichen werden“, forderte Müller. Sonst könnte über die allermeisten Landtagsgesetze kein Referendum stattfinden.

Rot-Rot-Grün registriert den CDU-Vorstoß mit Erstaunen

Eine Änderung des Verfassungsartikels 82 über Volksbegehren verlangt eine Zweidrittelmehrheit. Doch die gibt es nur, wenn das rot-rot-grüne Regierungsbündnis mitspielt.

Der Thüringer Landesverband des Vereins „Mehr Demokratie“ begrüßte den CDU-Vorschlag. Er entspreche eigenen Kernforderungen. Die Vorlage verspreche aber nur Erfolg, „wenn die regierungstragenden Fraktionen den Ball aufnehmen“, sagte Sprecher Ralf-Uwe Beck. In der Schweiz habe dieses Referendum seit 150 Jahren die politische Kultur verändert.

Michael Bartsch