Paff Die Schockfotos auf Tabakpackungen ängstigen unseren Autor nicht. Im Gegenteil: Elvira am offenen Sarg
Von Paul Wrusch
Mein erstes Schockbild war ein Embryo aus Asche. Auf beiden Seiten der Tabakpackung nahm das Bild ein Drittel der Fläche ein. Ich war sofort begeistert von dem Foto. Von der Schlichtheit, der Farbreduziertheit. Dieses Ungeborene: so zart und grau. Meine Sammelleidenschaft war geweckt.
Seit Ende Mai müssen auch in Deutschland mehr oder weniger schockierende Schockbilder auf Zigaretten- und Tabackpackungen zu sehen sein. Zu den 42 Motiven gehören neben fauligen Zähnen, schwarzen Zehen und verkrebsten Zungen auch atmosphärische Fotografien von Menschen, deren Leben infolge des Tabakkonsums beeinträchtigt erscheinen soll. Impotenz, Unfruchtbarkeit, rauchende Kinder. Statt der erhofften Schockwirkung entfalten die Aufnahmen bei mir das Gegenteil. Statt Abschreckung: Faszination.
Schon während der Verkäufer die Tabakpackung aus dem Regal nimmt, versuche ich einen Blick aufs Horrorfoto zu ergattern – stets von Ehrgeiz getrieben, ein neues zu erwischen. Das Loch im Hals fehlt mir noch, das Kleinkind mit Kippennuckel auch. Viermal dagegen hatte ich schon den nackten Mann, der vor Impotenzscham zusammengekrümmt auf seinem Bett liegt. Es gehört zu meinen Favoriten – aus rein optischen Gründen.
Als ich zum ersten Mal den langhaarigen Vater sah, der seinem zerknirschten Kind Rauch ins Gesicht pustet, musste ich laut lachen. Das Paar, das voneinander abgewandt im Bett sitzt, ließ allmählich Filme in meinem Kopf entstehen.
Die Motive setzen sich zu einer Foto-Lovestory zusammen: Weil es ihr impotenter Raucher-Ehemann nicht mehr bringt, verlässt Elvira ihn. Sie wünscht sich ein Kind, hat aber kein Geld für eine künstliche Befruchtung. Beim Zahnarzt lernt sie Markus kennen. Gutaussehend, nichtrauchend, potent. Es vergehen zwei Wochen der Leidenschaft, das Glück scheint perfekt: Elvira wird schwanger. Dann folgt der Absturz. Elvira fällt tief, als sie herausfindet, dass Markus ein Heuchler ist – er hat heimlich Zigarillos gepafft. Die Folge: Der gemeinsame Sohn Jonas beginnt im Alter von vier Jahren zu rauchen. Ständig muss Elvira mit ihm zur Asthmatherapie, Markus ist da längst über alle Berge.
An einem Donnerstag lernt sie in der Asthmaklinik Sabine kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick: Sabine raucht zwar, ist aber reflektiert – und Jonas hat ja ohnehin schon Asthma. Am Ende stirbt dann noch Markus an Zungenkrebs. Bei der Beerdigung denkt Elvira, trauernd und am offenen Sarg stehend: „Der Markus ist noch als Leiche einer der bestaussehenden Männer, die ich kenne.“
Sie haben auch eine Foto-Lovestory? Schicken Sie sie an rauchen@taz.de. Unter den schönsten verlosen wir eine Packung Nikotinpflaster
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