Jörn Kabisch über die Trinkmoral: Gesellschaft im Wasserspiegel
Wasser hat im Moment keinen guten Ruf. Es gibt ein viel Zuviel und ein viel Zuwenig davon. In Süddeutschland taucht es in Sturzfluten auf, im Mittelmeer lässt es Flüchtende ertrinken. Und wo es zu wenig ist, wie eben in Kalifornien, brennen Quadratkilometer Wälder. Oder es führt zu einer Jahrhundertdürre, wie momentan im südlichen Afrika. Der globale Wasserhaushalt ist aus dem Ruder, nicht nur ökologisch, klimatisch und wirtschaftlich, auch emotional. Wasser wird böser.
Auch das Leitungswasser. Immer genauer wird es analysiert, immer skeptischer betrachtet. Und der Aufwand, mit dem Wasser- und Klärwerke es filtern und aufbereiten müssen, wird immer größer. Das Wasser aus dem Hahn ist ein Spiegel der Gesellschaft: faszinierend, welche Rückstände es enthält. Der und die Deutsche nehmen noch immer Unmengen von Schmerzmitteln zu sich, schlucken Hormone wie Bonbons und bringen zu viel Dünger und Pestizide auf den Äckern aus. Übers Trinkwasser wird das, was Körper und Böden nicht schlucken können, dann quasi demokratisch verteilt.
Doch so will das kaum jemand sehen. Und niemand die Folgen unseres Lebensstils auch noch in der Leitung finden trotz einer Wasserqualität, die im Vergleich mit anderen Industrieländern Vorbilder sucht. Immer mehr Menschen greifen zum Mineralwasser aus der Flasche, meist aus Tiefenbrunnen abgefüllt. Es verspricht Reinheit in dem Sinne, mit dem Unwesen des modernen Menschen nie in Berührung gekommen zu sein. Am besten soll es noch bio sein, obwohl es dafür gar kein seriöses Unterscheidungsmerkmal gibt.
Eigentlich ist Mineralwasser ein fossiles Produkt – und der noch sympathischste Rohstoff eines sterbenden Zeitalters, in dem alles Gute, egal ob Öl, Kohle oder Erz, aus der Tiefe kam. Welcher Nonsens die Vorstellung ist, dass man sich damit Gutes tun kann, zeigt die Studie der Stiftung Warentest – übrigens nicht zum ersten Mal.
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