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Wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen

WELT DER MODE Die Müllerstraße im Wedding ist ein wildes Pflaster, dominiert von Casinos, Shisha-Bars und Billigbäckern. Dazwischen hält sich seit Jahrzehnten ausgerechnet das Pelzgeschäft von Eva-Maria Ebel. Ein Besuch

Eva-Maria Ebel zeigt alte Fotos, darauf sie als Model. Bis ihr Mann gesagt hat, es reiche jetzt, er brauche sie im Laden

VON ANNA KLÖPPER

Die Kinder, die draußen auf dem Bürgersteig herumlungern, wissen schon genau, wie sie den Hund hinter der Ladentür ärgern können. Sie spähen durch die Scheibe, trommeln mit den Fingern gegen das Glas – bis das große, zottelige Tier aufspringt und knurrend am heruntergelassenen Sicherheitsgitter kratzt.

Normalerweise liegen am nördlichen Ende der Müllerstraße in Wedding bloß Shishas und billige Brötchen in den Schaufenstern. Oder 1-Euro-Produkte oder gar nichts, weil sie zu einem Casino gehören und also mit blickdichter Folie nach Vorschrift verklebt sind. Das Pelzfachgeschäft von Eva-Maria Ebel hingegen fällt auf. Nicht nur wegen des eigentlich gutmütigen Zottelhunds hinter dem doppelt verstrebten Metallgitter, das Frau Ebel fast immer herunterlässt. Auch wenn der Laden eigentlich geöffnet hat. „Man weiß ja nie, wann denen im Casino nebenan wieder das Geld ausgeht“, sagt sie. Frau Ebel ist Ende 70, ehemaliges Mannequin, gelernte Pelznäherin und seit 62 Jahren im Pelzgeschäft. Einmal habe einer versucht, mit einem Stemmeisen ein Loch in die Außenwand zu brechen.

Ein Mantel für 790 Euro

Was eigentlich nicht verwunderlich ist, wenn man dringend Geld braucht, denn im Schaufenster von Pelz Ebel sind zwischen Trockenblumengestecken, Hundefiguren aus Porzellan und altmodisch bedruckten Seidenhalstüchern nicht etwa billige Uhrenimitate oder falsche Lederjacken im Angebot. Sondern zum Beispiel ein eleganter Damenmantel, mit Kaninfell gefüttert, 790 Euro. Das gleiche Modell mit Blaufuchs, 980 Euro. Hier, am Nordende der Müllerstraße, hat das Monopol über Milchschaum zum Mitnehmen noch der türkische Bäcker neben Frau Ebels Laden, und es gibt weder Bio-Bagel noch selbst designte Ökomode. Hier wirken diese Preisschilder wie ein Irrtum.

Pelz Ebel wurde 1926 von Eva-Maria Ebels Schwiegereltern gegründet. Die aus Ungarn stammenden Geschäftsleute hatten zunächst einen Laden ein paar Schritte weiter südlich, am Schillerpark: 21 Angestellte, eine separate Werkstatt, ein großes Pelzlager. Aus den 21 Angestellten ist heute einer geworden. Ein Kürschnermeister, der für Frau Ebel die eingekaufte Rohware zuschneidet, je nachdem, ob daraus mal ein Muff, ein Kragen oder ein Mantel werden soll. Den Rest erledigt die Pelznähmaschine von Eva-Maria Ebel.

Die kleine Ladenwerkstatt verströmt eine seltsame Aura aus Antiquariat und Gruselkabinett. Eine filigrane Sitzgruppe – ein zierliches Sofa, zwei Sessel, ein niedriger Tisch – beherrschen den Raum. Der kleine Gasofen wärmt nicht, die holzvertäfelten Wände fangen allzu viel Tageslicht gleich wieder ein. Eine hüfthohe Jaguarfigur aus Porzellan bewacht den Eingang zur Werkstatt. Drei pink und blau eingefärbte Füchse – Augenhöhlen, Pfoten und Schwanz sind noch dran – hängen neben der Ladentür, der Kürschner will sie demnächst abholen. Es riecht muffig, nach Leder. Und nach Tier.

Pelz Ebel ist einfach geblieben in der Müllerstraße. All die Jahre, während sich drumherum die Gegend komplett verändert hat. Der Laden, er ist eine Art begehbare Postkarte. Ein Gruß aus einer vergangenen Zeit, als diese vierspurige Ausfallstraße noch der „Ku’damm des Nordens“ hieß und hier der Westen im Gegensatz zum Osten war, der Goldene, der Geld hatte. Als die Frauen in der Müllerstraße noch Pelz trugen. „Eine elegante Straße war das, Juweliere hatten wir hier und exklusive Mode!“, sagt Eva-Maria Ebel, die mit kerzengeradem Rücken dasitzt. Aber ach, fügt sie hinzu, nicht nur mit der Müllerstraße sei es den Bach runtergegangen. Dann klagt sie über Frauen, die manchmal in ihrem Laden stünden und keinen Stil mehr hätten und auch keine Manieren. „Keine Eleganz, die man für einen Pelz aber braucht.“ Früher war alles besser? – „Früher war’s besser“, sagt sie.

Im Sommer ist nichts los

Zumindest war „früher“ besser fürs Geschäft. Eva-Maria Ebel, die im Wedding geboren wurde und immer noch dort lebt, hat heute einen kleinen Kreis von Stammkunden. Aus Potsdam etwa und, seit sie eine Internetseite hat, auch von weiter her. Oft kämen auch die Kinder der Stammkunden von früher und ließen die alten, geerbten Pelze ausbessern oder umarbeiten. Von diesen Stammkunden lebt sie. 15 bis 20 Aufträge sind es über den Winter, im Sommer ist meist gar nichts los. Die Miete für die Ladenwerkstatt ist zum Glück billig.

Früher flog Eva-Maria Ebel mit ihrem Mann zu Modemessen nach London und Paris, eingekauft wurde in großem Stil: An die 20.000 Pelze – Nerze, Füchse, Robben, Bisamratten, Ozelot, Iltis – waren in einem externen Lager untergebracht. Heute hängt an einer einzelnen Stange in Ebels Werkstatt eine überschaubare Anzahl Nerzfelle, ein bisschen Silberfuchs liegt auf dem großen Arbeitstisch. Eine junge Frau hat ihn geerbt und will sich daraus Manschetten und einen Kragen fertigen lassen. Das sei jetzt gefragt, sagt Frau Ebel.

Reparaturen, Änderungen, das sind ansonsten die häufigsten Arbeiten. Einen Mantel, immerhin, habe sie diesen Herbst schon verkauft. Wenn sie Glück hat, wird es bis zum Frühjahr noch einer mehr sein. „Früher“, sagt Frau Ebel, „standen die Frauen von nebenan mit Lockenwickler und im Unterrock in der Tür und kauften sich mal eben schnell einen Pelzmantel.“

Von nebenan kommt heute eigentlich nur noch ihre Freundin Inge, 88 Jahre alt. Jeden Tag ist Inge da, um punkt halb drei, leistet Eva-Maria Ebel Gesellschaft und füttert den Hund mit Keksen, die der freundliche Verkäufer aus der nahen Bäckerei mitsamt Cappuccino vorbeibringt. Eva-Maria Ebel holt alte Fotoalben aus dem Schrank: Sie als Model, bis ihr Mann gesagt hat, es reiche jetzt, er brauche sie im Laden. Ein bisschen eifersüchtig war er auch. Damals, in den 60ern und 70ern, dinierten sie im Kempinski mit Bankenchefs und Konzernvorständen. Sie zeigt Urlaubsfotos aus Teneriffa, als noch keine Billigflieger dort landeten. Dann erkrankte ihr Mann an Krebs, sie verkauften das Geschäft.

Als Eva-Maria Ebel 1986 dann doch wiedereröffnete, erst am Kurt-Schumacher-Damm, dann in der Müllerstraße, war sie allein. Und die Zeiten hatten sich geändert. Der Westen war nicht mehr so golden wie noch in den 50ern, jedenfalls nicht in der Müllerstraße. Kurz darauf war er auch überall. Und Pelz war nicht mehr so richtig schick.

Erst jetzt, 25 Jahre später, scheint sich da etwas zu tun. Die International Fur Trade Federation spricht von einem Rekordgeschäftsjahr 2010, mit 14 Milliarden US-Dollar Umsatz – ein Plus von 70 Prozent in zehn Jahren. Etwa zur gleichen Zeit riefen diverse Modemagazine und auch das Feuilleton der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit eine Pelz-Renaissance aus: auf den Modenschauen in Paris, London und New York sah man plötzlich wieder Mäntel mit Fellbesatz, Felltaschen und Pelzmützen.

Dass es ein reichlich trivialer Grund sein könnte, für einen Luxusgegenstand wie einen Pelzmantel Nerze und Füchse in viel zu engen Käfigen zu züchten oder Wildtiere mithilfe der von Tierschutzorganisationen immer wieder heftig kritisierten Fallenjagd umzubringen – solche Gedanken denkt Eva-Maria Ebel nicht. Bei dem Nerzfellhändler, bei dem sie die Felle für die Innenfutter kaufe, könne man gegen eine Spendenquittung Futter für Tierheime spenden, sagt sie. Also spendet Frau Ebel.

Eva-Maria Ebel und ihre Freundin Inge spähen nach draußen durch die Gitterstäbe. Ein trüber Nachmittag, es wird früh dunkel. Kurz öffnet sich das Metallgitter, um den Besuch hinauszulassen. Dann dreht sich der Schlüssel doppelt im Schloss. Und vor Frau Ebels Pelzladen geht das Leben einfach weiter.

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