„Die Hoffnung noch nicht aufgegeben“

Rigaer94 Polizei und Senat müssen zu mitteleuropäischen Umgangsformen zurückfinden, sagt der frühere Hausbesetzer und Linke-Politiker Freke Over. Aber auch die Hausbewohner müssten sich einer Lösung öffnen

Bereits im Januar stürmte die Polizei das linke Hausprojekt Rigaer94 Foto: Florian Boillot

Interview Volkan Ağar

taz: Herr Over, gemeinsam mit der Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Hermann (Grüne), haben Sie vergangenen Donnerstag zu einem runden Tisch für die Rigaer Straße eingeladen. Warum?

Freke Over: Das Treffen war ein Schritt dahin, dass wieder miteinander gesprochen wird.

Was bewegte Sie dazu?

Ich habe mich eingemischt, weil ich fassungslos darüber war, dass der Senat nicht mit den Anwohnern redet.

Wie ist das Gespräch verlaufen?

Beim Kiezdialog zeigte sich der große Frust der Anwohner. Es wird nicht mit ihnen gesprochen, trotzdem werden sie durch das Vorgehen der Behörden in Mithaftung genommen. Der Belagerungszustand seit neun Monaten ist nicht akzeptabel. Beim Treffen wurde die Forderung laut, dass der Berliner Senat und die Polizei zu mitteleuropäischen Umgangsformen zurückfinden müssen.

Waren BewohnerInnen der Rigaer94 beim Kiezdialog anwesend?

Nein, aber ein Sympathisant hat eine Erklärung der Bewohner vorgelesen.

Nach eigenen Angaben wollen die BewohnerInnen der Rigaer94 nicht verhandeln.

Sie möchten sich nicht für den Wahlkampf vereinnahmen lassen. Zuletzt habe ich vor zwei Wochen mit einigen gesprochen und habe die Antwort bekommen, dass sie darüber beraten müssten. Die Entscheidungsprozesse in der Rigaer94 sind leider fast so kompliziert wie im Senat.

Wollen Sie es erneut versuchen, die BewohnerInnen einzubinden?

Grundsätzlich wird es die Aufgabe der Moderation des Kiezdialogs sein, die Senatsverwaltung, die Polizei und die Hausbewohner ins Boot zu holen. Ich habe versucht, den Bewohnern deutlich zu machen, dass für sie gerade viele Türen offen stehen. Es geht jetzt um die Frage, ob sie das Haus sichern oder ob sie politische Prinzipien verteidigen wollen.

Wie würde eine solche „Sicherung des Hauses“ aussehen?

Es müssten Verträge abgeschlossen werden. Der Großteil der Hausbewohner hat seit Langem Mietverträge. Die Nutzer der Kadterschmiede haben über ihren Anwalt signalisiert, dass sie über eine solche Lösung für die betroffenen Räume sprechen wollen. Ob das mit dem jetzigen Eigentümer geht, der inzwischen einen Räumungsantrag gestellt hat, muss man sehen. Dessen Anwalt war auch beim Kiezdialog. Wir haben vereinbart, dass er den Eigentümer über unsere Ideen informiert und dann eine Rückmeldung gibt. Ein erster Schritt seitens des Eigentümers wäre es, den Räumungsantrag zurückzuziehen.

Freke Over

Foto: privat

Exhausbesetzer, 1995–2006 PDS-Abgeordneter in Berlin. Heute Leiter einer Brandenburger Ferienanlage und Frak­tions­chef der Linken im Kreistag von Ostprignitz-Ruppin.

Wäre dann eine langfristige und nachhaltige Lösung des Konflikts absehbar?

Langfristig kann man die Räume nur sichern, wenn es zu solch einer Lösung kommt – ob mit dem jetzigen oder einem anderen Eigentümer. Ansonsten wird es zwar eine Weile dauern, aber der Eigentümer wird seinen Räumungstitel bekommen.

Es gibt Gerüchte, dass die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo das Haus kaufen möchte. Würde ein solcher Kauf einer Lösung näher bringen?

Ob das eine Lösung wäre, weiß ich nicht. Die Degewo hat bereits genug Konflikte mit ihren jetzigen Mietern. Aber es ist sinnvoll, darüber nachzudenken, wie das Haus aus der Verfügungsgewalt eines räumungswilligen Eigentümers entzogen werden kann. Ein solcher Schritt muss aber mit den Mietern und Bewohnern der Rigaer94 besprochen werden. Ich hoffe, dass man sich im Senat Gedanken darüber macht, wie man den Konflikt lösen kann. Und ich bin erstaunt darüber, dass die SPD, die gerade auf eine Rot-rot-grüne Koalition zuschlittert, noch immer nicht begriffen hat, dass man den Menschen in dieser Stadt ein Angebot machen oder wenigstens mit ihnen reden muss. Was Gentrifizierung im Allgemeinen betrifft: Man kann einen Kiez nicht derart nach und nach verdichten, ohne sich mit den sozialen Auswirkungen zu beschäftigen.

Halten Sie im Fall Rigaer94 eine Lösung in naher Zukunft wirklich für möglich?

Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben.