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„Smell Lab“ in BerlinSo riecht die Erinnerung

Beim „Smell Lab“ experimentieren KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen mit Gerüchen und Andenken. Den „Kotti“ gibt's dort auch.

Bloß nicht die Nase verbrennen: Smell Lab in Berlin-Neukölln Foto: André Wunstorf

Berlin-Neukölln an einem Freitagabend, in einem kleinen Galerieraum, dessen Name noch von seiner vorherigen Bestimmung zeugt: „Holz Kohlen Koks“. Wasserdampf ringelt sich aus einer komplizierten Apparatur nach oben.

Die Wände holzvertäfelt, ein subtiles Odeur von miefigen Handtüchern – man könnte fast schon an finnische Sauna denken. Aber auch leichte Noten von Parfum und Schweiß der etwa dreißig bis vierzig BesucherInnen sowie vom Bier, das aus Flaschen getrunken wird, und der Geruch des regennassen Gehwegs, der durch die offene Tür hereinweht.

Eine junge Frau steht vor einem Tisch in der Mitte des Raumes und reicht einer anderen eine kleine Tüte mit salzigen Lakritzen. Dann wird das große Destilliergerät geöffnet, die Lakritze hineingegeben, kurz umgerührt und der Deckel wieder vorsichtig zugemacht.

Dieses Destilliergerät – ein robuster Zylinder aus Zink – steht im Mittelpunkt der Veranstaltung „Connected Smells“. Es thront auf einem Sockel in der Mitte des Ausstellungsraums, oben dampft es, aus einem Hahn tropft eine klare Flüssigkeit langsam, aber stetig in eine große Glaskaraffe. Die Besucher halten Abstand – man will das heiße Metall nicht berühren –, nur hin und wieder hält mal jemand Mutiges die Nase in die Nähe und atmet tief ein.

„Ich glaube, Gerüche bleiben einem ganz stark im Gedächtnis“, sagt Lovisa Hensfelt, die gerade die Lakritze abgegeben hat. Auf der Facebook-Eventseite haben die Veranstalter darum gebeten, einen Geruch mitzubringen, den man mit einem Menschen oder einem Ort verbindet.

Hensfelt verbindet salzige Lakritze mit ihrer Heimat Schweden. „Ich habe lange in Australien gelebt und konnte dort nirgends meine Lieblingslakritzen finden“, sagt sie. „Seitdem haben sie eine ganz große Bedeutung für mich.“

Hensfelt wird keinen persönlichen Lakritzeduft bekommen, denn bei so vielen Gästen und einem einzigen langsamen Destillierer ist das nicht machbar. Aber die Idee von „Connected Smells“ ist ohnehin eine andere: Alle einzelnen Gerüche sollen zu einem verbunden werden – am Ende des Abends werden die Besucher also einen Duft mitnehmen, der sie miteinander und mit der Veranstaltung verbindet.

„Proust-Effekt“

„In Indien riecht es nach vielen würzigen Sachen“, sagt ­Navneeta Deo, die zusammen mit Hensfelt hier ist. Die Gerüche, die ihren Alltag begleitet haben, fehlen ihr nun in Berlin. Sie hilft sich mit Räucherstäbchen und gibt diese auch in den Destillierer.

Ob der Duft von Omas frisch gebackenem Apfelkuchen oder der Geruch des Expartners, der noch immer im aufbewahrten T-Shirt hängt: Gerüche rufen Erinnerungen wach. An die Kindheit, an besondere Menschen und Erlebnisse.

In der Wissenschaft spricht man vom „Proust-Effekt“, benannt nach dem ­französischen Schriftsteller Marcel Proust, in dessen Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ der Icherzähler beim Geruch von frisch gebackenen ­Madelaines sofort in seine Kindheit zurückversetzt wird.

Ein weiterer Besucher, der Earl-Grey-Tee mitgebracht hat, schreibt in das Gästebuch: „Als ich klein war, hatten wir wenig Geld. Meine Mutter hat Earl-Grey-Teebeutel als Badezusatz verwendet. Heute denke ich bei dem Geruch an meine Mutter, aber auch an Badewasser – deswegen trinke ich den Tee nie.“

Wie unterschiedlich Gerüche wahrgenommen werden, zeigt sich auch bei der Frage, wie der Duft, der aus dem Hahn des Destilliergeräts tröpfelt, ei­gentlich riecht. „Muffig, aber irgendwie auch warm“, sagt einer. „Irgendwie nach diesen Zitronen­brausetabletten“, sagt eine andere. Wörter, die versuchen, etwas zu beschreiben, was sinnlich intensiv erlebt, aber sprachlich nur schwer gefasst werden kann.

Erinnerungsalbum in Flüssigform

Der Geruch verändert sich mit jedem Gegenstand, der abgegeben und destilliert wird. In jedem Tropfen, der in die Glaskaraffe fällt, stecken neue Erinnerungen, der fertige Duft wird ein Erinnerungsalbum in Flüssigform sein.

„Das Faszinierende an Gerüchen ist, dass sie unsichtbar, aber sehr mächtig sind“, sagt Klara Ravat. Die Geruchskünstlerin hat das Smell Lab – das ­VeranstalterInnenteam von „Connected Smells“ – ins Leben gerufen. „Unser Verhalten wird ganz stark durch das, was wir riechen, beeinflusst“, sagt Ravat. „Meistens merken wir das gar nicht.“

Die 29-Jährige hat an der Koninklijke Academie van Beeldende Kunsten in Den Haag studiert, seit knapp drei Jahren lebt sie in Berlin. In ihrer Kunst verbindet sie Gerüche mit Experimentalfilmen. Die Filme thematisieren Gerüche, oder sie werden in Räumen gezeigt, die mit bestimmten Gerüchen versehen wurden.

Vor etwa einem Jahr hat Ravat das Smell Lab ins Leben gerufen, um mit anderen Gerüche zu erforschen. Einmal im Monat trifft sich die offene Gruppe aus WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und anderen Geruchsbegeisterten im Neuköllner Projektraum Spektrum. Zusammen werden Gerüche diskutiert, selbst extrahiert oder ‚Smell Walks‘ durch die Stadt gemacht.

Auf einem dieser Spaziergänge hat die Gruppe versucht, typische Berliner Gerüche einzufangen. Mit Baumwollstoff und Plastikbeuteln haben sie zum Beispiel Gerüche in Dönerläden und Kneipen rund um den Kreuzberger U-Bahnhof Kottbusser Tor gesammelt und später extrahiert.

Jasminblüten und Urin

Der belebte Platz, der in Berlin nur „Kotti“ genannt wird, ist ein wichtiger Ausgangspunkt für Kultur- und Nachtleben, steht aber immer wieder auch wegen starker Kriminalität in den Schlagzeilen. Er riecht – darauf hat sich das Smell-Lab-Team geeinigt – nach „gebratenem Fleisch, Rauch und Abgasen, Jasminblüten und saftigen Grünpflanzen, Bier, Fisch, Früchten, Urin und Kanal­wasser.“

Die extrahierten Stadtgerüche hat das Smell Lab bei seiner ersten Ausstellung, „Collected Smells“, im Januar präsentiert. Die Besucher konnten ihre Nase in verschiedene Laken halten, die mit den Gerüchen besprüht waren.

„Wir haben alle eine künstlerische, aber auch eine wissenschaftliche Denkweise“, sagt Sheraz Khan, der von Anfang an beim Smell Lab dabei ist. Der 27-Jährige hat sich in seinem Chemiestudium vor allem mit Düften und Aromen beschäftigt, er kennt sich mit verschiedenen Destillationsverfahren aus.

Auch heute Abend wirft er immer wieder fachmännische Blicke auf das Destilliergerät und hilft bei der Bedienung. „In jedem Material finden sich Geruchsmoleküle, die bei der Dampfdestillation freigesetzt und eingefangen werden“, erklärt Khan. „Wir kochen die Materialien also erst. Der Dampf, in dem die Geruchsmoleküle sind, wird dann stark abgekühlt und kondensiert so.“

Der Dampf bahnt sich seinen Weg nach oben und trifft auf Eiswürfel, die von den Smell-Lab-Mitgliedern regelmäßig nachgefüllt werden. Anschließend tropft der Duft in die Glaskaraffe.

Immer wieder werden neue Zutaten eingerührt, mit jedem neuen Erinnerungsstück wird der Duft komplexer. Um die ewig tropfende und dampfende Maschine stehen die unterschiedlichsten Leute und reden darüber, wer was mitgebracht hat und warum das Riechen als Sinn so unterschätzt wird.

Anders als in Ausstellungen, in denen man ehrfürchtig vor fertigen Werken steht, geht es hier ums Mitmachen. „Ich denke oft, dass ich moderne Kunst gar nicht richtig verstehe“, sagt ­Navneeta Deo. Sie wartet darauf, ihre kleine Duftprobe zu bekommen.

Geruchsmoleküle

Je nach Material dauert es mindestens fünfzehn bis zwanzig Minuten, bis die Geruchsmoleküle hervortreten und sich dann auch in der Flüssigkeit wiederfinden. „Hier ist die Kunst anders: Jeder kann mit ganz einfachen Dingen mitmachen. Und selbst kreieren“, sagt Deo.

Als Lovisa Hensfelt und Navneeta Deo endlich ihre kleinen Duftproben in Glasfläschchen bekommen, die man von Parfümerieproben kennt, riechen sie erst mal. Lakritze? Räucherstäbchen? Fehlanzeige.

„Ich rieche es nur ganz leicht. Andere Gerüche waren wohl dominanter“, sagt Deo. Enttäuscht sind die beiden trotzdem nicht. „Die Erfahrung und die Leute hier – das war alles sehr spannend“, sagt Hensfelt. Ein neuer Duft und eine damit verbundene Erinnerung.

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