„In Berlin kann man auch mit Heteros gut feiern“

Flucht Wegen ihrer Transsexualität musste Carla Masoud ihr Heimatland verlassen. In Berlin hat sie nicht nur ein neues Zuhause gefunden, hier kann sie endlich sie selbst sein

Masoud: „Ich habe mich immer als Mädchen gefühlt“ Foto: Amélie Losier

taz: Frau Masoud, Sie sind heute eine Frau, wurden aber als Junge namens Kerolos geboren.

Carla Masoud: Nicht ganz. Ich bin mit männlichen Geschlechtsorganen auf die Welt gekommen, das stimmt. Schon damals hatte ich aber einen sehr hohen Östrogenspiegel. Hormonell war ich eher eine Frau als ein Mann. Dass ich ein Junge sein soll, haben die Ärzte und meine Eltern entschieden.

Und das war die falsche Entscheidung?

Definitiv. Ich habe mich immer als Mädchen gefühlt. In der Schule habe ich nicht mit den anderen Jungs gekickt, sondern mit meinen Freundinnen Puppen frisiert. Zu Hause habe ich heimlich die Kleider meiner Mutter angezogen. Beim Gottesdienst in unserer Kirche habe ich mich manchmal auf die Bänke für die Frauen gesetzt. Als ich in die Pubertät kam, bin ich auch körperlich zu einer Frau geworden. Ich bekam runde Hüften und eine Brust.

Kerolos spielte also mit Puppen – wie kam das bei den anderen an?

Na, ich habe natürlich gewaltige Probleme bekommen. In Ägypten kannst du als Junge nicht einfach mit Mädchen spielen oder gar wie eines aussehen! Meine Lehrerin hat irgendwann meinen Vater einbestellt. Zu Hause war es nicht besser. Mein Vater hat krampfhaft versucht, aus mir einen Jungen zu machen. Bis ich neun war, bekam ich männliche Hormone gespritzt. Die Kur wurde nur abgebrochen, weil ich beinahe an Krebs erkrankt wäre. Er zwang mich auch, weite Kleidung zu tragen. Niemand sollte sehen, dass der Sohn der Familie Masoud Kurven hat wie eine Frau.

Hattest du in Ägypten Kontakt zu anderen Trans- oder Homosexuellen?

Nicht direkt. In Oberägypten gibt es keine echte LGBT*-Community. Das wäre viel zu gefährlich. Homo- und Transphobie sind bei uns leider der Normalfall. Die einzige Möglichkeit, mich mit anderen auszutauschen, war das Internet. Dort habe ich dann auch angefangen, mich für unsere Rechte einzusetzen. Ich möchte über LGBT* aufklären und bestimmten Leuten zeigen, dass wir Menschen sind wie jeder andere. Auf Twitter und Facebook bin ich so zu einer kleinen Berühmtheit geworden. Aber mit der Popularität fingen leider auch die Probleme erst richtig an.

Was ist denn passiert?

Ich konnte irgendwann nicht mehr auf die Straße gehen, ohne fotografiert und belästigt zu werden. Der koptische Patriarch hat mir ein lebenslanges Kirchenverbot erteilt, weil ich mit meinem Verhalten angeblich die Jugend verderbe. In islamistischen Fernsehsendungen wurde massiv gegen mich gehetzt. Ich hatte Todesangst, dass sich irgendein Eiferer dazu auserkoren fühlt, mir eine Kugel in den Kopf zu jagen. Ich wurde außerdem zwei Mal von der Polizei festgenommen. Beim ersten Mal lautete der Vorwurf Homosexualität. Danach machte man sich nicht mal mehr die Mühe, mir einen Grund zu nennen. Mir wurde irgendwann klar, dass ich raus muss aus Ägypten.

Warum haben Sie sich für Deutschland entschieden?

Ich habe mir Deutschland nicht direkt ausgesucht. Wichtig war nur, dass ich irgendwie wegkomme. Die Deutschen haben mir als Einzige ein Visum gegeben. Dass ich in Berlin landen würde, habe ich damals nicht gedacht. Eure Botschaft gilt in Ägypten eigentlich als harte Nuss.

Carla Masoud

Jahrgang 1994, geboren als Frau im Körper eines Jungen – als Kerolos Masoud in Suhaq, Ägypten. Masoud kam im Herbst 2014 nach Berlin, weil sie in ihrer Heimat verfolgt wurde. Sie ist Social-Media-Aktivistin und engagiert sich im Verein Sonntags-Club für queere Flüchtlinge.

Was war das für ein Gefühl, in Berlin anzukommen?

Es war wunderbar, ich war endlich frei! Beim Lageso in der Turmstraße war damals noch nicht so viel los. Die Erfahrungen, die andere Flüchtlinge dort machen mussten, sind mir zum Glück erspart geblieben. Nach meiner Registrierung habe ich mir als Erstes ein paar vernünftige Klamotten gekauft, zwei Röcke und ein paar Frauenschuhe. In Berlin kann ich endlich ich selbst sein. Ich lasse mir die Haare lang wachsen und habe auch einen Arzt gefunden, bei dem ich eine Kur mit weiblichen Hormonen mache. Damit sollen die Schäden behoben werden, die das Testosteron als Kind bei mir angerichtet hat.

Hast du hier auch schlechte Erfahrungen gemacht?

Leider ja. In meinem ersten Jahr habe ich im Wohnheim gelebt. Dort traf ich auf dieselben Vorurteile, die mir auch in Ägypten begegnet sind. Meine Mitbewohner haben mich angeschaut, als wäre ich ein Alien. Einige Männer haben mich betatscht. Ich glaube, sie wollten wissen, ob ich ein Mann oder eine Frau bin. Einmal wurde ich von fünf Jungs niedergeschlagen und verprügelt, sodass ich ohnmächtig wurde.

Und außerhalb des Heims?

Da habe ich noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Meine Hormonbehandlung ist mittlerweile aber auch schon recht fortgeschritten. Die Leute auf der Straße erkennen mich meistens gar nicht mehr als Transgender. Rassistische Pöbeleien habe ich auch nicht abbekommen.

Hast du Anschluss an die Berliner LGBT*-Szene gefunden?

Ja, das ging sehr gut. Als ich am Anfang Probleme mit den anderen Heimbewohnern hatte, wurde ich von einer Sozialarbeiterin namens Vera unterstützt. Sie nahm mich mit zum Café des Sonntags-Clubs in Prenzlauer Berg. Dort gibt es einmal in der Woche ein Willkommenstreffen für Geflüchtete. Das war super! Ich habe viele Menschen kennengelernt, die ähnliche Geschichten erlebt hatten wie ich. Mittlerweile habe ich in dem Café einen kleinen Job. Ich dolmetsche und greife den neuen Refugees etwas unter die Arme. Viele ihrer Probleme kenne ich ja aus eigener Erfahrung.

„Nach meiner Regis­trierung habe ich mir als Erstes zwei Röcke und ein paar Frauenschuhe gekauft“

Du bist Anfang zwanzig. Stürzt du dich auch in das Berliner Nachtleben?

Na klar. Ich gehe gerne in die Bars rund um den Nollendorfplatz. Neulich war ich auf der Gayhane-Party im SO36. Zum Christopher Street Day gehe ich mit meiner Clique vom Sonntags-Club. Ich suche mir meine Orte aber nicht nur danach aus, ob das Publikum dort queer ist oder nicht. In Berlin kann man auch mit Heteros gut feiern.

Wie soll es für dich in Berlin weitergehen?

Wie die meisten anderen Flüchtlinge will ich erst einmal richtig Deutsch lernen. Sobald ich meine Aufenthaltsgenehmigung habe, werde ich mich als Frau registrieren und meinen Namen offiziell in Carla ändern lassen. In Deutschland darf ich das endlich! Meinem Ausweis nach bin ich ja immer noch ein Junge namens Kerolos. Das hat mit meiner Identität aber nicht mehr viel zu tun. Interview Francis Laugstin