Die drei Fragezeichen
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Sanches (stehend) schaut passiv bei Nanis (liegend) 2:0 zu Foto: imago

„Das zweite Tor war regelkonform“

Was? Im ersten EM-Halbfinale stand der Portugiese Renato Sanches beim zweiten Tor gegen Wales im Abseits. Aber: Er hat den Ball nur durchgelassen und nicht berührt. Aktives Abseits, passives Abseits?

taz: Herr Feuerherdt, es heißt, dass Sanches im passiven Abseits stand. Stimmt das?

Alex Feuerherdt: Lassen wir mal die Frage außen vor, ob der Schiedsrichter und sein Assistent überhaupt eine Abseitsstellung erkannt haben. Und dass Sanches wirklich im Abseits stand, nehmen wir einfach mal als gegeben an, auch wenn die Fernsehkamera das ja verzerren kann. Das alles vorausgesetzt, gilt: Sanches hat aus seiner Abseitsposition heraus nicht strafbar ins Spiel eingegriffen, das Tor ist regulär erzielt worden.

Aber er hat doch bewusst den Fuß gehoben, um den Ball durchzulassen!

Na, gehen wir doch mal durch: Wurde in irgendeiner Weise die Sicht der Verteidiger oder des Torwarts behindert? Dafür gibt es keine Anhaltspunkte, Sanches stand relativ weit weg. Wurden die Gegenspieler dadurch behindert? Die standen deutlich weit weg, niemand war an Sanches dran oder ist auf ihn zugegangen. Wurde der Torwart irritiert? Auch das trifft nicht zu, er ist, nachdem Nani den Ball getroffen hat, genau dort hingegangen und hat sich in seiner Bewegung kein bisschen an Sanches orientiert.

Dreimal Nein also? Das Tor war regulär?

Ja, nach den drei Kriterien, die es für die Beurteilung einer Abseitsstellung gibt, war es regulär. Dass jemand im Abseits steht, ist an sich nicht strafbar; dazu muss er schon aktiv ins Spiel eingreifen oder einen Gegner so beeinflussen, dass dieser den Ball nicht mehr spielt oder spielen kann. Einfach den Fuß zu heben, um den Ball durchzulassen, ist dann kein aktiver Eingriff, wenn es die Spielsituation nicht nennenswert verändert.

Interview Martin Krauss, David Merz

Alex Feuerherdt, Jahrgang 1969, ist Mitbetreiber des Schiedsrichter-Podcasts „Collinas Erben“. Er ist verantwortlich für die Aus- und Weiterbildung der Schiedsrichter in Köln und arbeitet als Publizist