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Ein Globus sieht rot

Der 20 Meter große Riesenball, der zur Fußball-WM durch Deutschland wandert, macht in Hannover einen Zwischenstopp – in Freistoßweite zum dortigen Rotlichtviertel. Zur Eröffnung kam der Kaiser

von Jörg Heynlein

Hannovers Rotlichtmilieu ist um eine Attraktion reicher. 60 Tonnen Fußball-Globus strahlen seit Mittwoch mit der sündigen Meile im Steintorviertel um die Wette. Bis zum 4. Dezember macht der von André Heller entworfene Globus Werbung für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Vielleicht können ja beide Industriezweige – Sex und Fußball – von einander profitieren: Der Globus lockt die Gäste an, das Steintorviertel richtet sie wieder auf.

Hannover ist für die nächsten Wochen die Station eines WM-Werbespektakels, mit dem die Fifa-Verwalter des Weltfußballs die Herzen öffnen wollen. Die Zeit drängt, denn in 239 Tagen beginnen die Spiele. Kein Geringerer als der Kaiser selbst war dazu ausersehen, die Fußballzeit in der Ex-Kanzlerstadt einzuläuten.

„Es kündigt sich ein magistraler Moment an“, stimmte der Fifa-Globus-Kulturbeauftragte Jochen Hieber die 300 Gäste im Neuen Rathaus auf den Kaiser ein. Immerhin sei Franz Beckenbauer dreifacher Weltmeister: als Spieler, als Trainer und jetzt sogar als Präsident des Organisationskomitees.

Andächtig verhallten Hiebers Worte zwischen den Säulen des Rathausfoyers, bevor seine drei Mitspieler die kleine Bühne bestiegen: Ministerpräsident Christian Wulff, Göttrik Weber von der DFB-Kulturstiftung und ER, der Kaiser selbst. Ob die ganzen Reisen als Präsident des Organisationskomitees nicht auch sehr anstrengend seien, wollte Hieber von Beckenbauer wissen. Der berichtete prompt von seinen Hubschrauberflügen über Deutschland, von WM-Stadion zu WM-Stadion. Weil es ohne ihn nicht geht, muss er überall nach dem Rechten sehen.

Schon zuvor war die Stimmung im Rathaus-Foyer etwas gekippt, dank des Einsatzes des als „Großmeister der galanten Illusion“ angekündigten Wolff Baron von Keyserlingk. Der ehemalige Rechtsanwalt aus uraltem Adel war korrekt mit Frack bekleidet, hatte aber leichte Koordinations- und Ausspracheprobleme. Der Höhepunkt seiner Show war erreicht, als er drei überdimensionale Asse zückte, um den zukünftigen Fußball-Weltmeister zu bestimmen. Merkwürdigerweise zog Keyserlingk immer nur das Deutschland-As, da konnte er mischen, so viel er wollte.

Nach dem Schlusspfiff im Neuen Rathaus bewegte sich die Veranstaltung Richtung Rotlichtviertel, natürlich nur, um den Riesenfußball offiziell zu eröffnen. Doch welche Auswirkungen wird die Rotlichttherapie des WM-Globus in den nächsten Wochen auf das Spiel der deutschen Nationalmannschaft haben? Und werden die als eher zurückhaltend geltenden HannoveranerInnen durch die infrarote Bestrahlung zu StimmungssüdamerikanerInnen und FußballraverInnen?

Fragen über Fragen, die auch ein Franz Beckenbauer nicht beantworten kann. Im Rotlichtviertel selbst wird der Fußballglobus jedenfalls eher wohlwollend betrachtet. „Ich persönlich finde den schön“, sagt die Empfangsdame des „Eros-Centers“ und ruft schnell männliche Verstärkung herbei. Die findet den Globus auch schön, spricht sich allerdings für eine Verlängerung der Leuchtzeit aus. „Natürlich müsste er Tag und Nacht brennen. Sie wissen ja, da wo Licht ist, gehen die Leute hin“.

Ende November wird der Standort des Fußball-Globus erstmals offiziell thematisiert. „Auf der Linie, auf dem Strich“, lautet eine „so heitere wie nachdenkliche Revue“ der Theatertruppe „Company Hamburg“. Thema: die Käuflichkeit. Franz Beckenbauer hat sich dazu bisher nicht angekündigt.

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