Bei Labour kracht es heftig

Opposition Zahlreiche Führungsmitglieder der Labour-Partei legen ihre Ämter nieder. Sie geben Parteichef Corbyn Mitschuld am Sieg des Brexit. Er habe sich nicht ernsthaft für den Verbleib in der EU eingesetzt. Viele Labour-Wähler stimmten für „Leave“

Britain: What's left?

Viele junge Briten ärgern sich jetzt über sich selbst, weil sie vor dem Referendum nicht besser aufgepasst haben. Revolte bei Labour

LONDON taz | In der oppositionellen britischen Labour-Partei knirscht es nach dem Sieg des Brexit-Lagers gewaltig: Die Parteiführung befindet sich in Auflösung. Sieben Mitglieder des Schattenkabinetts – die Schattenminister für Gesundheit, Jugend, Schottland, Verkehr und Umwelt, dazu die Schattenstaatssekretäre für Bildung und Finanzen – sind am Sonntag aus Protest gegen Parteichef Jeremy Corbyn zurückgetreten.

Zuvor hatte Corbyn seinen Schattenaußenminister Hilary Benn entlassen. Der parteiübergreifend respektierte Benn gilt als führender Kritiker des linken Parteiflügels, der 2015 Corbyn per Mitgliederbefragung an die Führung gehievt hatte. Corbyn sei „ein guter, anständiger Mensch, aber kein Führer“, hatte Benn in einem Interview gesagt.

In den wirtschaftlich gebeutelten Regionen Nord- und Zentralenglands haben viele treue Labour-Wähler am 23. Juni für den Brexit gestimmt und diesem damit zum Sieg verholfen. Sie ließen sich von der Sorge über unkontrollierte Zuwanderung von Billigkonkurrenz aus Osteuropa leiten. 86 Prozent aller Gemeinden mit verarbeitender Industrie und 77 Prozent aller mit unterdurchschnittlichen Einkommen stimmten für den Austritt aus der EU.

Labour hatte zwar offiziell den Verbleib in der EU unterstützt. Aber die Parteiführung ließ ihre Aktivisten dabei oft im Stich. Viele Wähler setzten die Pro-EU-Kampagne mit dem konservativen Premier David Cameron gleich.

Bei Labour war die deutschstämmige Abgeordnete Gisela Stuart aus Birmingham, Chefin der offiziellen Austrittskampagne „Vote Leave“, in der Öffentlichkeit zuweilen sichtbarer als die Pro-EU-Seite. Die Seite der EU-Befürworter vertrat vor allem Londons Bürgermeister Sadiq Khan. Da brachte auch der Mord an der EU-freundlichen Labour-Abgeordneten Jo Cox eine Woche vor dem Referendum keinen Stimmungsumschwung.

Corbyn selbst boykottierte die offizielle Pro-EU-Kampagne. Nach dem Referendum sagte er, in den Brexit-Hochburgen gebe es offenbar „unzureichendes Verständnis für Vielfalt“ – was als Wählerbeschimpfung verstanden wird.

Die Briefe, in denen seine Schattenminister ihren Rücktritt erklären, sind vernichtend: „Es wird immer klarer, dass Ihre Position unhaltbar ist“, schrieb Schatten-Bildungsstaatssekretärin Lucy Powell, Abgeordnete aus Manchester. „Wir haben über die Jahre hinweg die Unterstützung unserer tradi­tio­nellen Gemeinschaften verloren. Während ich Sie dafür nicht persönlich verantwortlich mache, glaube ich nicht, dass Sie deren Sorgen genügend begreifen, um sich mit ihnen wieder verstehen zu können.“

Lilian Greenwood, Schattenverkehrsministerin, schrieb: „Das Votum [beim Referendum] hat unsere Nation und auch meine Stadt Nottingham gespalten, und ich teile die Sorge, dass unsere starke kollektive Haltung für den Verbleib in der EU unseren Anhängern nicht konsistent kommuniziert wurde.“ Die Corbyn-Anhänger tun all dies als Kampagne der „Blairisten“ (Anhänger des früheren Premiers Tony Blair) in der Partei ab.

Die linke Basisbewegung ­Momentum ruft für Montagabend zur Pro-Corbyn-Kundgebung vor dem Parlamentsgebäude auf, während drinnen die Labour-Fraktion – Hochburg der Corbyn-Kritiker – zur Krisensitzung zusammenkommt. Am Dienstag könnte es ein Misstrauensvotum der Abgeordneten gegen ihren Parteichef geben. Einen Rücktritt hat Corbyn abgelehnt. D.J.