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„Kultur ist kein Fertigprodukt“

KOLLEKTE Der Autor Dirk von Gehlen über Crowdfunding und Online-Bezahlmodelle

Dirk von Gehlen

■  Karriere: Dirk von Gehlen, 37, ist Leiter „Social Media Innovation“ bei der Süddeutschen Zeitung in München und Redaktionsleiter von jetzt.de. Er hat Lehraufträge an der Uni Hohenheim und der LMU München. 2011 ist bei Suhrkamp sein Buch „Mashup – Lob der Kopie“ erschienen.

  Ziel: „Eine neue Version ist verfügbar“ heißt von Gehlens zweites Buch, das 2013 erscheinen soll. Derzeit wird auf der Crowdfunding-Plattform startnext.de Geld dafür gesammelt beziehungsweise für die unterschiedlichen Versionen, in denen „Eine neue Version ist verfügbar“ erscheinen wird.

INTERVIEW MAIK SÖHLER

taz: Herr von Gehlen, 10.000 Euro für Ihr neues Buch sind jüngst per Crowdfunding vorab erzielt worden, und schon wollen Sie auf 12.500 Euro erhöhen. Wieso der Ehrgeiz?

Dirk von Gehlen: Auf der Internetseite Kickstarter habe ich gesehen, dass sich erfolgreiche Projekte nach Erreichen ihres Ziels neue Ziele setzen. Meine Grundfragen waren: Wie kann man Bücher anders schreiben? Wie kann ich Kultur anders finanzieren? „Eine neue Version ist verfügbar“ ist mein Experiment, dabei sind geänderte Ziele nichts Unübliches. Ab 10.000 Euro bekommen Unterstützer – Kunden, die mein Buch vorab kaufen – höhere Qualität beim Design. Wenn wir 12.500 Euro erreichen, bekommen alle Unterstützer zusätzlich die Hörbuchversion.

Sie haben Ihr neues Werk als „Mitmachbuch“ deklariert. Was genau hat man sich darunter vorzustellen?

Das zielt auf die Idee, Kultur als Software zu denken. Kultur soll nicht mehr Fertigprodukt sein, sondern – wie bei Wikipedia oder beim Webbrowser Firefox – in Versionen ausgeliefert werden. Es geht nicht um das fertige Buch, sondern um seinen Entstehungsprozess. Dies bringt einen unkopierbaren Moment mit sich, der dem Produkt weiteren Wert verleihen kann. Nun muss ich das Versprechen einlösen, so transparent wie möglich zu schreiben. Für die 300 Leute, die mich bis jetzt unterstützt haben, schreibe ich öffentlich.

Haben Sie keine Angst, dass Ihre These von der Realität blamiert wird? Die meisten Leser wollen doch nur Ihr Buch lesen.

Die Angst ist da, ja. Aber in einer Experimentalphase müssen wir damit leben, dass neue Lösungen nicht immer Lösungen für alle sind.

Crowdfunding ist ein reines Marktmodell: Das Angebot wird nur bei entsprechender Nachfrage realisiert. Entlassen Sie damit nicht Verlage und Labels aus ihrer Verantwortung für ein umfassendes Programm?

Es gibt einen Kulturwandel und wir müssen uns zu ihm verhalten – ob wir ihn gut finden oder nicht. Wir Autoren und Kreative müssen deutlicher als bisher erklären, warum unsere Produkte gekauft werden sollen. Das marktwirtschaftliche Problem sehe ich auch. Es besteht die Gefahr, dass sich Verlage ihrer Verantwortung für das große Ganze entledigen, wo – sagen wir – ein Titel von Kehlmann die Lyrik mitfinanziert. Crowdfunding kann ein Verlagsangebot nicht ersetzen, es ist nur Ergänzung.

Sie haben mit dem Urheberrecht in Ihrem ersten Buch ein populistisches Thema gefunden. Andere Themen, etwa Gedenkkultur in Konzentrationslagern, dürften es beim Crowdfunding weitaus schwerer haben.

Das Thema des Buches ist mein Startvorteil. Um daraus etwas zu machen, muss ich die Community kennen. Daraus kann sich auch für kleine und abseitige Themen eine Finanzierung aus dem Netz ergeben. Es ist gar nicht so schwer, 10.000 Leute zu einem lokalen Thema zusammenzubringen. Aber ich bin nicht naiv, bestimmte Themen werden es schwerer haben als andere.

Da macht man sich doch nur von den üblichen Verdächtigen abhängig und vernachlässigt auch noch die Themen, um die es geht.

Im digitalen Kontext sind es die immer gleichen üblichen Verdächtigen, stimmt. Ich glaube daran, dass Crowdfunding auch beim VfL Bochum funktionieren würde. Aber ich glaube nicht daran, dass die alten Geschäftsmodelle funktionieren, bis ich in Rente gehe.

Journalismus und Crowdfunding –wie passt das zusammen?

Bisher funktioniert Crowdfunding dort, wo es einen einzelnen Kreativen gibt, der eine Idee hat und Unterstützer sucht. Warum soll nicht auch ein Verlag sagen, ich stelle einen Journalisten nach vorne, der präsentiert ein Vorhaben, und wir probieren aus, ob wir das finanziert bekommen.

Welche Version des Urheberrechts ist derzeit verfügbar?

Verfügbar ist eine neue Version der Realität und das Urheberrecht ist da noch nicht angekommen. Als das Radio eingeführt wurde, gab es Menschen, die davon ausgingen, die dort verbreitete Musik werde gestohlen. Heute gibt es Menschen, die denken, das Runterladen einer MP3-Datei ohne Bezahlung sei Diebstahl. Wir müssen zu neuen Umgangsformen kommen und dafür braucht es ein anderes Urheberrecht. Zuerst einmal muss die Abmahnkultur weg, von der nur Juristen profitieren. Ebenso wichtig ist es aber, den Entstehungsprozess statt des Endprodukts in den Blick zu nehmen. Denn dann ist der juristische Schutz des Endprodukts vielleicht gar nicht mehr so wichtig. Ein Konzerterlebnis lässt sich nicht mailen oder als Link verschicken. Digitalisierung verflüssigt Kultur, und das derzeitige Urheberrecht reagiert darauf nicht angemessen.

Hält die Version des Urheberrechts, die gerade verfügbar ist, noch fünf Jahre? Bitte eine realistische Antwort, die sich mit Macht und nicht mit Hoffnung auseinandersetzt.

Die klassischen Lobbyverbände nehmen Einfluss, um ihre Interessen durchzusetzen. Als ich zuletzt im Bundestag war, wurde dort diskutiert, wie das Urheberrecht zu verschärfen sei. Seine jetzige Version zu erhalten könnte auf zynische Art erfolgreich sein, auch wenn jenseits des Parlaments seine Abschaffung gefordert wird.

Was halten Sie davon, dass beim Musikstreaming im Netz für Künstler kaum Erlöse bleiben?

Da geht es um die Neuausrichtung des Streamingportals Spotify. Sie war eine große Rechtfertigung gegenüber den Künstlern. Wir erleben nun einen großen Wandel, weil man jahrelang gedacht hat, mit Streaming wird alles gut. Und jetzt stellt man fest, am Streaming verdienen die Künstler fast nichts. Meine Idee wäre: Streamt nicht eure fertigen Produkte, streamt lieber den Zugang zum Studio und fördert so die Interaktionsbereitschaft eurer Fans.

Und das brächte Geld?

Ich weiß es nicht. Nehmen Sie Joanne K. Rowling und „Harry Potter“. Damit hat sie das meiste Geld gemacht, aber mit Ergänzungen wie Pottermore (www.pottermore.com/de) verdient sie noch hinzu. Das bedeutet für prominente Künstler: Je tiefer man ins eigene Werk einsteigt, desto mehr lässt sich daraus machen. Und da geht es nicht immer um Fertigprodukte. Fans finden auch Wert im Unfertigen.

Die Ungerechtigkeit, dass Streaming-Anbieter viel und Künstler wenig verdienen, ist damit nicht vom Tisch.

Auch deswegen bin ich mit meiner Idee zu Startnext und nicht zu Kickstarter gegangen – bei Kickstarter mischt Amazon mit. Amazon hat als erste Firma verstanden, was es mit dem „Selfpublishing“ auf sich hat und wie man Geld daraus machen kann. Text schreiben, crowdfunden lassen, weiterverbreiten und im Amazon-Store verkaufen. Wie beim Streaming sind die Kreativen aber wieder von anderen abhängig, die mit deren Idee Geld verdienen.

Wie kommen wir aus der hermetischen Welt der Amazons, Googles und Apples wieder heraus?

Startnext zeigt, dass es auch anders ginge. Dafür müssen sich Künstler aber erst dorthin bewegen. Oder nehmen wir das Online-Bezahlmodell von Flattr. Es ist im Bereich des Micropayments das derzeit am besten funktionierende Tool. Die Summen mögen gering sein, aber das liegt an jenen Unternehmen, die Flattr nicht nutzen, weil sie erst dann auf so etwas aufmerksam werden, wenn es ihr eigenes Geschäftsmodell bedroht.

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