Schusssichere Alltagsgegenstände: Ein kugelsicherer Trend
In den USA finden Hersteller kugelsicherer Alltagsgegenstände immer neue Geschäftsgebiete. Wann sind wir alle bulletproof?
Man kennt die Probleme eines sommerlichen Bürotags. Die Sonne scheint grell auf den Bildschirm, der Straßenlärm stört die Konzentrationsfähigkeit, die Kaffeefahne aus dem Mund der Chefin macht das Vier-Augen-Gespräch zur Qual. Dann kommen Terroristen und ballern wild um sich.
Das Szenario ist zwar nicht realistisch, aber reichlich bedrohlich. Deswegen hat der US-amerikanische Hersteller Amulett Ballistic Barriers nun die Möglichkeit entwickelt, Bürobedarf so aufzurüsten, dass er vor Schüssen schützt: bulletproof office supply. „Schütze die Öffentlichkeit vor der Realität unerwarteter Waffengewalt da, wo sie lebt, arbeitet und spielt“, nennt Amulett Ballistic Barriers sein Ziel.
Hierfür stellt das Unternehmen kugelsichere Kunststoffplatten her. Die sind leicht, dünn und können im Prinzip überall eingebaut werden. Vor allem gegenüber Metall sind sie eine weitaus praktischere Alternative.
Das Logo von Amulett Ballistic Barriers ist ein Schild mit der Flagge der USA darauf. Davor ein Banner „Made in the USA“. Als sei das Unternehmen den heißesten Wünschen republikanischer Hardliner entsprungen: Sie kurbelt die heimische Wirtschaft an, schützt vor dem Terrorismus und schürt gleichzeitig noch die Furcht davor.
Amulett Ballistic Barriers rühmt sich auf seiner Website mit seinem altruistischen Geschäftsmodell: „Versteckte Schutzbarrieren im öffentlichen Raum werden einfach zu dringend gebraucht und unsere Sorge um die öffentliche Sicherheit ist zu dringlich, als dass wir unsere ballistic barrier Produkte nur für uns selbst nutzen dürften.“ Das bedeutet, dass das Unternehmen vor allem Schutzplatten aus Kunststoff verkauft, ohne selbst Möbel herzustellen.
Die Angst in den USA ist groß. Hier sterben jedes Jahr tausende von Menschen an Schusswaffen, letztes Jahr allein 13.432. Büros sind aber erst seit Kurzem in den Fokus der Kugelsicherheits-Branche gerückt.
In der Schule ist man bereits bulletproof
Schüler sind schon länger im Visier derartiger Anbieter. Für sie gibt es kugelsichere Rucksäcke und Büchertaschen. Rucksäcke und Büchertaschen sind natürlich das gleiche – nur anders vermarktet.
Der konservative Fernsehsender Fox News bewirbt den Rucksack mehr ex- als implizit: „Wenn Eltern bis zu 200 Dollar für die Schuhe ihrer Kinder ausgeben – warum nicht für einen Rucksack, der ihr Leben retten kann?“
Für Zuhause gibt es auch bereits kugelsichere Sofas und Sessel. Beim Design braucht man dabei keine Abstriche machen. Die kugelsicheren Kunststoffplatten werden einfach in die Polster eingenäht.
Trotzdem schafft die Idee, kugelsichere Platten überall einzusetzen, ganz neue Möglichkeiten. Der gesamte Alltag könnte bulletproof werden, einfach alles.
Wohlbetuchte leben sicherer als andere
Reiche Leute brauchen sich mit kugelsicheren Möbeln oder Utensilien nicht auseinandersetzen. Für sie gibt es bereits seit einigen Jahren den kugelsicheren Anzug. So brauchen sie bloß ihren Schwarz-Diamant-gefüllten Dreiteiler überstreifen, um vor Kugelhagel sicher zu sein. Das kostet allerdings über drei Millionen Dollar.
Die Idee, alles kugelsicher werden zu lassen, ist genial. Zumindest aus der Sicht der Waffenlobby. Und der Kugelsicherheitslobby. Statt nämlich strengere Gesetze zur Kontrolle von Schusswaffen in privaten Haushalten einzuführen, relativiert man einfach deren Gefahr.
So entsteht eine Rüstungsspirale, die beiden Wirtschaftszweigen nützt. Das Problem ist aber, dass sich die wenigsten Menschen kugelsichere Sofas für bis zu 10.000 Dollar leisten können. Geschweige denn den kugelsicheren Ganzkörperstrampler.
Doch wer weiß, flankiert von der konservativen Politik wird womöglich auch bald das Tragen von allem, was kugelsicher ist, zum Statussymbol. Der Bulletproof Backback könnte zusammen mit dem modernen Sturmgewehr angeboten werden. Und der sprichwörtliche „Mann, der schon alles hat“ gönnt sich dazu eben noch den kugelsicheren Bürobedarf. Win-Win, sozusagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen