40. Verleihung des Bachmann-Preises: Die stromernden Ichs
Drei Tage lang lasen AutorInnen am Wörthersee um die Wette. Fast alle Texte erzählten aus einer Innenansicht heraus.
Hört mich, liebt mich, seht doch, wie ich wirklich bin. Folgt mir, teilt mich. Schenkt mir ein paar Likes. Vielleicht passt es in unsere Zeit, dass es beim diesjährigen Bachmann-Preis in Klagenfurt so häufig um das „Ich“ ging und beinahe jeder der 14 vorgetragenen Texte aus einer Innensicht erzählt war, vollgepumpt mit Gedankenwust und Zwiegesprächen.
Das Ich kam aus dem Krieg oder lebte im Orient, das Ich war ein Schwimmer, ein Zimmermädchen, Schriftstellerin oder Student, es zog sich Haare aus dem Po, klappte fremde Koffer auf, das Ich war ein Ei.
Drei Tage lasen sieben Autorinnen und sieben Autoren vor einer siebenköpfigen Jury am Wörthersee um die Wette, zum vierzigsten Mal, und die Bedingungen waren allesamt, wie man sie sich im österreichischen Kärnten für die Literaturtage wünscht: die Sonne gnadenlos, jede Nacht lau, der Fußball schien so dramatisch, dass niemand über zu wiederholende Präsidentenwahlen reden brauchte – beim Elfmeter gegen Italien rief der ORF-Kommentator „ja, spinnt denn die Welt?“ –, und die Existenz des Bachmann-Wettbewerbs, die immer wieder auf der Kippe steht, weil die Fernsehausstrahlung teuer ist und der Fernsehsender sparen will, war außerdem für ein weiteres Jahr gesichert.
Mit großen Worten hatte die Bürgermeisterin da den Eröffnungsabend eingeleitet: „Klagenfurt verwandelt sich trotz der Europameisterschaft zu einer wahren Literaturhauptstadt“ – Minuten später aber wich die Verheißung der Vergangenheit und einer ersten, intensiven Beschäftigung mit dem Selbst: Burkhard Spinnen, lange Jury-Vorsitzender des Bachmann-Preises, sprach in seiner „Rede zur Literatur“ ausschweifend von der Kraft, die es ihn all die Jahre gekostet habe, die Vorwürfe abzuwehren, er veranstalte eine „Vernichtungsorgie“.
Und das, obwohl er doch all die Jahre die vielen fremden, eingesandten Texte mit sich „herumgetragen“ habe. Obwohl er die gesammelten Eindrücke doch bis ins Wartezimmer seines Zahnarztes geschleppt habe, bis in den Stau auf einer Autobahn, bis in seine Träume! Überhaupt, ein einziger Schmerz, das Schreiben, seine „Rede zur Literatur“ allein: „Im Nu“ hatte sie 13 Seiten, dann galt es zu straffen und zu verwerfen. „Nein, das waren durchaus keine Belanglosigkeiten“, berichtete Spinnen vom Podium, bis man glaubte, man habe Cäsar zugehört. Ich las, ich schrieb, ich kürzte.
Größenwahn gedämpft
„Nein“, rief dann auch Stefanie Sargnagel, als sie ausgelost wurde, als erste Teilnehmerin zu lesen. Dabei hätte es belebender nicht kommen können: Sargnagel, die vor einem Jahr noch verächtlich über den Bachmann-Preis gebloggt hatte, wurde dieses Jahr gleich von zwei Juroren eingeladen. In Österreich ist sie längst ein „It-Girl“, eines der besonderen Sorte. Zynisch und derb und in ihren Wiener Kneipen wahrscheinlich eher zu Hause als beim Abendbuffet auf Schloss Maria Loretto, wo leise das Wörtherseewasser ans Ufer schwappt.
Spätestens, nachdem ihr Videoporträt für den Wettbewerb verbreitet wurde, in dem sie unter anderem ihre Lieblingsfarbe verriet – „intensives Grau“ – wurde ihr Beitrag wohl zum meisterwarteten. Auch, weil man sich fragte, ob sie tatsächlich einen Fließtext über mehrere DIN-A4-Seiten schreiben würde, und nicht, wie sonst: Schnipsel. Sargnagel wurde mit Statusmeldungen auf Facebook bekannt. Sie postet Mini-Einträge, live aus Österreich etwa diesen: „Mein Größenwahn ist irgendwie gedämpft. Die andern AutorInnen sind eh nett, ich muss sie nicht zerficken.“
Bachmannpreis: Sharon Dodua Otoo wurde in London geboren und lebt in Berlin. Ihre jüngste Novelle „Synchronicity“ erschien 2014 auf Deutsch und Ende 2015 auf Englisch. Alle ihre Bücher kommen im Verlag edition assemblage heraus.
3sat-Preis: Julia Wolf wurde in Groß-Gerau geboren und lebt in Berlin. 2015 erschien ihr Roman „Alles ist jetzt“ in der Frankfurter Verlagsanstalt.
Kelag-Preis: Dieter Zwicky wurde in Zürich geboren und lebt in Uster und Zürich. Debütierte 2002 mit der Prosasammlung „Der Schwan, die Ratte in mir.“ Im Herbst erscheint seine Erzählung „Hihi – Mein argentinischer Vater“ in der edition pudelundpinscher (heißt wirklich so).
Publikumspreis: Stefanie Sargnagel wurde in Wien geboren und lebt in Wien. Soeben ist bei Mikrotext eine aktualisierte Version ihres Buches „In der Zukunft sind wir alle tot“. 2015 erschien „Fitness“, redelsteiner dahimène edition.
„Heftig für zehn Uhr morgens“ befand man in der Jury dann ihre Erzählung einer gelangweilten Autorin, die ein bisschen Spaß und ein bisschen Sinn sucht, vom Café in die Bar zieht, dort auf einen vermeintlichen Totschläger trifft, ihrer Freundin eher widerwillig bei den Beziehungsproblemen zuhört und aufs Erwachsenensein allgemein nicht viel Lust zu haben scheint. Dass Sargnagel in Klagenfurt den Publikumspreis gewann, den sie sich mit Sonnenbrille und einem Lob aufs „goldene Matriarchat“ abholte, war vorauszusehen.
Ganz anders als die Kritik: Übereinstimmend klare Haltungen gab es unter den Jurorinnen und Juroren in etwa so selten wie herausragend gute Texte. Dass man sich brüstete, beim Bachmann-Preis „international wie nie“ zu sein, Autoren aus Israel, England und Frankreich nach Klagenfurt gebeten hatte, noch dazu Autoren höheren Alters, konnte nicht ändern, dass die meisten Lesungen blass blieben.
Tradition hat hier Tradition
So wurden die wenigsten Erzählungen oder Romanauszüge von einer Handlung vorangetrieben, vielmehr verharrten die Ichs in inneren Monologen und stromerten vor sich hin – hier das Kriegstrauma verarbeitend, dort den Groll auf regimetreue Eltern. Man schlenderte mit Beduinen, traf ein paar Hunde, und selbst wenn man eine Geflüchtete traf, wirkte das merkwürdig zeitlos. Zeitlosigkeit aber hielt die Jury für wohltuend, trotz einer Woche, in der es einen Anschlag auf Istanbuls Flughafen gab und in Bangladesch zu einer Geiselnahme kam, zu der sich der IS bekannte. Die Rückkehr zum Konventionellen, hieß es sogar einmal, werde wieder „zum Risiko“.
Und ausgerechnet, wenn man die Chance hatte, sich weltoffen zu geben, fing man an zu diskutieren. Da saß Tomer Gardi vor ihnen, im Kibbuz in Galiläa geboren, mit einem Text in sehr gebrochenem Deutsch; „dann gehe ich Duschen und trockene mich und liege nackt auf das Bett“, „und dann der Akkusativ kommt“, allesamt mochten sie die Brüchigkeit dieses Stils – und dann rätselte die Jury erst mal, wie ein solcher Text zu bewerten sei. Etwa mit denselben Kriterien wie bei Muttersprachlern? „Welche Einwanderungsbedingungen hat Sprache?“
Aber so ist es eben mit Klagenfurt: Tradition hat hier Tradition. Draußen, im Garten des ORF-Studios, waren sich zwei Damen schnell einig, dass der Romananfang von Julia Wolf – der mit dem Schwimmer-Ich, ein schönes erstes Kapitel, das von den Problemen und Sehnsüchten eines alternden Mannes erzählt – der beste der Woche war: „Klassisch, das ist halt für uns.“ Und auch im Studio störte sich niemand daran, dass ihr Text genauso gut „vor 25 Jahren“ beim Bachmann-Wettbewerb hätte gelesen werden können, wie Juror Klaus Kastberger sagte. Wolfs Schwimmbad-Stück wurde mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet; der sogenannte Kelag-Preis ging an Dieter Zwicky, einen Schweizer, der bereits das zweite Mal in Klagenfurt las – diesmal eine Geschichte, in der die Hauptfigur aus einer Kleinstadt besteht: Los Alamos.
Mit der Gewinnerin des eigentlichen Titels, um den hier konkurriert wurde, war außerdem zu rechnen. Sharon Dodua Otoo, Engländerin und die Favoritin des Vortages, gewann für ihre Persiflage auf ein deutsches Rentnerpaar beim Frühstückstisch, den Bachmann-Preis. 25.000 Euro für einen Text, der zur Hälfte aus Sicht eines weich gekochten Eis geschrieben ist. „Wer will schon ein Ei sein? Nicht wirklich rund, nicht wirklich stabil, nicht wirklich attraktiv.“ Fast wie bei Loriot.
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