Österreich Bei der Stichwahl zum Bundespräsidenten wurde flächendeckend geschlampt. Deshalb muss die Wahl wiederholt werden
: Zurück zu den Urnen

Österreich will keine Bananenrepublik sein, arbeitet aber hart an diesem Image Foto: Hermann Bredehorst/Polaris/laif

Aus Wien Ralf Leonhard

Norbert Hofer von der FPÖ wird jetzt doch Staatsoberhaupt von Österreich. Zumindest vorübergehend. Denn die Stichwahl vom 22. Mai, in der er dem Grünen Alexander Van der Bellen unterlag, wurde vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) am Freitag annulliert. Mit dem Abgang von Bundespräsident Heinz Fischer am 8. Juli übernimmt damit laut Gesetz die Präsidiale des Nationalrats dessen Aufgabe als Kollektiv. Und Norbert Hofer ist Dritter Nationalratspräsident.

Die Bundespräsidentenstichwahl muss „zur Gänze wiederholt werden“. Das verkündete Gerhart Holzinger, Präsident des VfGH, Freitagmittag in Wien. Er bestätigte damit, was man in Juristenkreisen schon gemunkelt hatte. Das Höchstgericht hatte ja bereits verlauten lassen, dass es das Gesetz strengstmöglich auslegen werde. Danach reiche, wie Holzinger sagte, „die theoretisch mögliche Verschiebung von Stimmen“ für die Ungültigkeit des Wahlgangs aus. In 14 der 20 untersuchten Wahlbezirke habe man grobe Rechtswidrigkeiten festgestellt. Davon seien 77.926 Stimmen betroffen. Da die Differenz zwischen den Kandidaten nur 30 bis 863 Stimmen betragen habe, hätte das Ergebnis also auch anders ausfallen können.

Die Briefstimmen haben dem Grünen Alexander Van der Bellen im Mai den knappen Sieg über FPÖ-Mann Norbert Hofer beschert. Jetzt haben sie ihn diesen Sieg auch wieder gekostet. Vorläufig zumindest. Die FPÖ konnte bei ihrer 90-seitigen Wahlanfechtung aus dem Vollen schöpfen. Denn dass flächendeckend geschlampt wurde, war offenbar allen Beteiligten längst bekannt. Nur hatte bisher niemand die Formalfehler beanstandet. Um maximale Transparenz zu signalisieren, war der VfGH vom üblichen Verfahren hinter geschlossenen Türen abgerückt. In öffentlicher Anhörung befragten die 14 Richterinnen und Richter 67 Zeuginnen und Zeugen.

Konkret ging es um Schlampereien beim Auszählen der Briefwahlstimmen. Das Gesetz sieht vor, dass die sogenannten Wahlkarten erst am Montag nach der Wahl um 9 Uhr geöffnet und dann unter Anwesenheit der von den Parteien entsandten Beisitzer ausgezählt werden. Da diese Regelung praxisfern ist, weil von der Wahlbehörde großer Druck ausgeübt wird, die Ergebnisse möglichst rasch bekannt zu geben, ist fast überall ein effizienterer, aber gesetzwidriger Plan B zum Einsatz gekommen. Dabei wurden Wahlkarten schon Sonntagabend aufgeschlitzt und vorsortiert, in manchen Bezirken auch schon ausgezählt.

Dessen ungeachtet haben aber überall die Mitglieder der Wahkommissionen und die Beisitzer im Nachhinein die gesetzeskonforme Vorgehensweise mit ihrer Unterschrift beurkundet. Selbst Sitzungen, die nie stattgefunden hatten, wurden protokolliert. Als Begründung führten die Zeugen, viele davon beamtete Juristen oder Bezirkshauptmänner, oft Zeitdruck an. Die meisten Beisitzer sind berufstätige Freiwillige, die nicht ohne Weiteres den ganzen Montag den Regeln der Demokratie opfern können oder wollen. Und offenbar herrschte grenzenloses Vertrauen in die Lauterkeit der beamteten Wahlleiter. Tatsächlich, so VfGH-Präsident Holzinger, habe keine(r) der einvernommenen Zeuginnen und Zeugen die Wahrnehmung gehabt, dass es zu Manipulationen gekommen sei.

Der VfGH will auch die in den Befragungen immer wieder erwähnte Praxis abstellen, ausgewählten Medien, allen voran der Austria Presseagentur (APA), vorab Teilergebnisse aus fertig ausgezählten Wahlkreisen zukommen zu lassen. Das erleichtert zwar die rasche Analyse der Ergebnisse und macht die ersten Hochrechnungen präziser, doch verstoße es gegen den Grundsatz der freien Wahl, da Informationen so auch an Wählerinnen und Wähler durchsickern, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben.

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ), der unmittelbar nach der Verkündung vor die Presse trat, hält den Imageschaden, den Österreich davontragen wird, für „überbewertet“. Der Ausdruck „Bananerepublik“ war in den Medien wiederholt aufgetaucht. Vielmehr sei gerade der Beweis erbracht worden, „dass der Rechtsstaat funktioniert“. Kern, der erst vor einer knappen Woche zum neuen SPÖ-Chef gewählt wurde, wünscht sich einen kurzen Wahlkampf. Ein Termin für die Wiederholung der Stichwahl steht noch nicht fest. Von Anfang September bis Mitte Oktober ist die Rede.

Die nächste Runde

Die Mitglieder der Wahlbehörden werden zu Schu­lungen verdonnert. Ein überarbeiteter Leitfaden wird zur Verfügung gestellt. Für einige Bezirke gibt es OSZE-Beobachter

Zuversicht bei den Grünen

Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) will dafür sorgen, dass sich die festgestellten Unregelmäßigkeiten „nie wieder wiederholen“ können. Die Mitglieder der Wahlbehörden werden zu Schulungen verdonnert. Ein überarbeiteter Leitfaden wird zur Verfügung gestellt. Für besonders kritisierte Wahlbezirke will er Beobachter der OSZE ­einladen.

Der ehemalige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen, der sich schon in der Hofburg gesehen hat, gab sich in „zuversichtlich“, auch aus einem neuen Wahlgang als Sieger hervorzugehen. Sein Wahlkampfleiter Lothar Lockl erklärte, man werde „wieder eine große, österreichweite Bürgerwahlbewegung auf die Beine stellen“ und „ein zweites Mal gewinnen“.

Laut Umfragen wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Doch könnte Van der Bellen seinen Vorsprung leicht ausbauen. Das inoffizielle Endergebnis hatte bei 50,3 Prozent für ihn gelegen. Norbert Hofer, der in der kuriosen Lage sein wird, als Kostaatsoberhaupt Wahlkampf machen zu müssen, sieht derweil keinen Anlass, seine Funktion bis zur Wahl ruhen zu lassen.