Filmportrait einer Intellektuellen: Die Frau, die Rilke seinen Namen gab
Im Film „Lou Andreas-Salomé“ porträtiert Cordula Kablitz-Post die kluge russisch-deutsche Schriftstellerin, die neben Rilke auch Freud beeinflusste.
Nietzsche und Rilke traf sie, bevor sie berühmt wurden. Sie war es, die die Persönlichkeiten der noch jungen Männer formte. Zumindest bei Rilke ist sicher, dass sie seine Karriere mit in Gang brachte. Sie empfahl ihm, seinen Vornamen vom zwitterhaften René zum unzweideutig männlichen Rainer zu verändern und ihre Kritik an seinen zuerst blumig schwülstigen Gedichten half ihm dabei, seinen Stil zu finden.
Doch bisher wissen nur wenige um diese außergewöhnliche Persönlichkeit, die freiheitsliebend, klug, furchtlos und voller Forschungsdrang war. Dabei war Lou Andreas-Salomé zu ihrer Zeit eine einflussreiche Intellektuelle, die Romane, Erzählungen, Essays, Abhandlungen über Philosophie und Psychoanalyse und eine Autobiografie verfasste.
Aber ihre Neugier verhinderte, dass sie sich auf ein Thema festlegte, mit dem sie für die Nachwelt in Verbindung gebracht worden wäre. Cordula Kaplitz-Post rückt das nun mit ihrem Spielfilm zurecht, in dem sie sich darum bemüht, der Komplexität der Figur und ihrer historischen Bedeutung gerecht zu werden.
In einer Rahmenhandlung wird sie uns als 70-jährige Frau vorgestellt, die im Deutschland der 30er-Jahre damit rechnen muss, von den Nationalsozialisten verfolgt zu werden. Der Film beginnt am Tag der Bücherverbrennungen. Für einen jungen Mann, der so aussieht, wie einer von der Gestapo, ist dies kein guter Moment, um an der Haustür zu klingeln.
Dem entsprechend begegnet Lou Andreas-Salomé dem jungen Germanisten Ernst Pfeiffer zuerst mit Misstrauen, als dieser sie darum bittet, ihn wegen seiner Schreibblockade zu therapieren. Die Behandlung soll darin bestehen, dass sie ihm im Laufe zahlreicher Besuche ihre Lebensgeschichte diktiert.
Nicole Heesters spielt Lou Andreas-Salomé in diesen Sequenzen mit einer souveränen Gelassenheit. Überzeugend verkörpert sie die analytische Intelligenz und geistige Unabhängigkeit, die die Titelfigur auszeichnet. Diese nicht zu unterschätzende Leistung gelingt auch den beiden anderen Schauspielerinnen Katharina Lorenz und Liv Lisa Fries, die Andreas-Salomé in den Rückblenden verkörpern.
Es handelt sich um Schlüsselszenen aus ihrem Leben: ein früher Akt der Rebellion während eines Gottesdienstes, Auseinandersetzungen mit der Mutter und eine sehr komische Sequenz während eines gesellschaftlichen Empfangs, bei dem sie, statt sich dem üblichen Geplauder hinzugeben, aus dem Stehgreif mit einer kleinen philosophischen Ausführung brilliert, mit welcher sie einen der anwesenden Herren verführt.
Kaplitz-Post gelingt es, Rilke, Nietzsche und Freud in wenigen, prägnanten Auftritten lebendig werden zu lassen. Dabei bedient sie sich derer bekannten Manierismen, ohne sie zu übertreiben und so Karikaturen zu zeichnen. Julius Feldmeier ist als Rilke ein hochnervöser, noch sehr junger und unsicherer Mann. Lou dagegen hat zu dieser Zeit schon einen Bestseller geschrieben und hält Vorträge zur Emanzipation der Frauen.
Alexander Scheer gibt den Nietzsche als einen eher hitzigen als genialen Rüpel, dessen Schnurrbart etwas zu lang geraten ist. Im Film wird übrigens auch Nietzsches berühmter Satz „Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht!“ ironisiert: Auf einen Jahrmarkt posieren Lou, Nietzsche und ein Freund für einen Fotografen in einer Stellung, in der Lou die beiden Männer mit einer Peitsche antreibt.
Alle Figuren des Films reden in geschickt gebauten und wohlformulierten Dialogen, in denen nicht nur ihre Sicht auf die Welt, sondern auch ihre jeweiligen Talente offenbar werden. Viele der Dialogsätze sind aus Originaltexten wie Briefen und Notizen übernommen worden und klingen entsprechend druckreif. Aber Lou Andreas-Salomé war ja eine Sprachkünstlerin und so ist es durchaus plausibel, dass sie auch im alltäglichen Leben so geschliffen redete,wie sie schrieb. Am Ende des Films spricht sie dann ihr Lebensmotto direkt in die Kamera: „Die Welt, sie wird dich schlecht begaben, glaube mir’s, sofern du willst ein Leben haben, raube dir’s!“
Ausstattung, Kostüme und Maskenbild wirken zwar authentisch, aber Kablitz-Post arbeitet auch mit kleinen stilistischen Widerhaken, mit denen sie darauf hinweist, dass sie hier die Vergangenheit spielerisch inszeniert.
An manchen Schnittstellen, bei denen zwischen Zeiten und Orten gewechselt wird, nutzt die Filmemacherin für kurze animierte Einstellungen Motive aus alten Postkarten, in denen sie ihre Protagonistin herumspazieren lässt. Sie lässt sich nicht auf festgefügten, starren Bildern fassen.
Der Film wurde in Potsdam, Wien und Südtirol, aber auch in Wrisbergholzen bei Hildesheim und in Peine gedreht. Es steckt Geld von der Förderanstalt von Niedersachsen und Bremen Nordmedia in der Produktion. Deshalb ist auch der NDR mit von der Partie. Und so konnte es zu der kuriosen Situation kommen, dass die 51-jährige Cordula Kaplitz-Post für ihr Langfilmdebüt auf dem Filmfest Emden-Norderney vor ein paar Wochen den NDR-Nachwuchspreis verliehen bekam.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!