Berliner Szenen
: Gute-Nacht-Geschichte

Das Känguru

Das Känguru haut dem Wärtereins auf die Nase

„It’s bedtime for Gonzo“, sage ich. Keine Reaktion. „Los, ab ins Bett“, sage ich, deutlicher werdend. Zur Vorbereitung sammelt Fup seine Fußballbildchen ein, holt eine Flasche Wasser und schlägt ein paar Purzelbäume, bevor er in sein Bett hüpft. Er will mit mir Fußballbildchen zocken, was ich ablehne. Stattdessen lese ich ihm „Das Sams“ von Paul Maar vor. Fup guckt sich währenddessen die Spieler an und sortiert sie auf immer neue Weise. „Du hörst mir nicht zu“, sage ich. „Doch“, sagt Fup, dabei murmelt er die Namen der Spieler vor sich hin. Gut, denke ich, dann lese ich die Geschichte eben für mich, denn „Das Sams“ gefällt mir.

Nach zehn Seiten nehme ich ihm die Fußballbildchen weg und mache das Licht aus. „Noch eine Geschichte“, sagt Fup. „Du hörst doch gar nicht zu“, sage ich. „Erzähl mir eine von dir“, sagt Fup. „Also gut“, sage ich. „Es war einmal ein Känguru. Das ging einkaufen. Die Kassiererin fragte, ‚Tüte?‘, aber das Känguru sagte, ‚ich hab meinen Beutel immer dabei‘. Das Känguru hatte sich seinen Beutel vollgestopft mit zehn Tafeln Kinderschokolade, fünf Beuteln Gummibärchen und fünf Tüten Chips und wollte gerade abhauen, da wurde es erwischt. Alles geklaut. Das Känguru kriegte Handschellen um und wurde ins Gefängnis geworfen. So, und jetzt wird geschlafen.“

Fup sieht mich mit großen Augen an. „Nein, erst musst du erzählen, wie es wieder aus dem Gefängnis kommt.“ – „Ach ja“, sage ich, „hab ich ganz vergessen. Das Känguru ruft den Wärter, haut ihm eins auf die Nase und hopst davon. Zu Hause setzt es sich vor den Fernseher und verputzt die ganzen Süßigkeiten auf einmal. Danach ist ihm fürchterlich schlecht, und es sagt: ‚Ach wär ich doch bloß im Gefängnis geblieben‘.“ Am besten gefällt Fup die Stelle, wo das Känguru dem Wärter eins auf die Nase gibt. Endlich schläft er ein. Klaus Bittermann