Der liebste Guerillero der Deutschen

POP So wie Schimanski wollte man sein, als Mann in den achtziger Jahren: ein Kumpel und Antispießer. Niemand hätte diesen Typ besser spielen können als Götz George – ein Mann von unvergleichlicher körperlicher Wucht und Feingefühl

Die Jacke: leicht verkruschelt, das Haar: ungekämmt – als Schimanski war George ein Idol Foto: imago

von Jan Feddersen

Ein sehr bekannter Schauspieler war Götz George auch schon Ende der siebziger Jahre. Als Sohn des Nazischauspielgotts Heinrich George und der Schauspielerin Berta Drews kam er am 23. Juli 1938 zur Welt und wurde nach einer der Paraderollen des Vaters benannt, nach Goethes „Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand“ – eine mittelalterliche Figur, die den Fürsten trotzt. Einer, der den Mächtigen Verachtung und Eigensinn entgegenbringen kann: Leck mich am Arsch!

Vater Heinrich starb 1946 in einem sowjetischen Speziallager – Sohn Götz hatte seine Schuhe zu beerben. Und wurde ein Schauspieler, wie es in der deutschen Nachnazigeschichte in dieser Besessenheit – und Präsenz! – keinen anderen gab.

Früh spielte er in Filmen mit. Castings waren in seinem jugendlichen Alter ganz unnötig, die elterlichen Kontakte machten es naheliegend, dass Götz George Rollen angeboten bekam. Und wie er sie nutzte – ob nun in gehobenem Schund wie „Ferien mit Piroschka“, oder in seinem ersten Kinofilm „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“. Dieser junge Mann spielte in einer Intensität, die wie ein Verzehr seiner selbst aussah und ihn zu einem Idol machte. George, das war der junge Mann, der aus seinen blauen Augen so unschuldig, schüchtern und zugleich offensiv gucken konnte.

Und wahnsinnig gut aussah. Ein prächtiger, runder, kräftiger Körper – ohne soldatische Sehnigkeit und Kantenschärfe. Eine ganz ungewöhnliche Schönheit, ein Mann, der alle körperliche Wucht nicht wie einen Übergriff aussehen ließ, eher wie ein scheues Angebot, sich faszinieren zu lassen. Bei ihm schien auf viel Überdruck ein Deckel zu sitzen, der ihn vor totaler Entgrenztheit so eben noch zu schützen vermochte: ein Ängstlicher, der in jeder Sekunde vor der Kamera, auf der Bühne, auf Pressekonferenzen in gewisser Weise den Coolen gibt, aber nur darum ringt, die eigene Angst vor dem Versagen in den Griff zu bekommen.

George war nach seinen ersten Rollen nie weg. Ein Comeback war nie nötig für diesen Mann, der mit Else Bongers die gleiche Schauspiellehrerin hatte wie Hildegard Knef. Er hat nichts einfach so weggespielt und doch alles gespielt. In den Winnetou-Verfilmungen machte er mit, im Krimi-Dreiteiler „11 Uhr 20“ war er haudegend dabei, in TV-Serien wie der „Kommissar“ oder „Derrick“ war er auch öfter zu sehen – aber seine Paraderolle, die ihn aus dem Rang der Prominenz zu einer der Berühmtheit zu Lebzeiten brachte, war die Figur des Horst Schimanski beim „Tatort“ des WDR.

Ein Ermittler in ziemlich verkruschelter Jacke mit vielen Taschen, eher ungekämmtem Haar – und in dieser Rolle ein Idol. Das war eine Typ, der nicht grandseigneural wie ein Sherlock Holmes hinterm Schreibtisch sitzt und ein Puzzle aus Erkenntnisbröckchen zusammensetzt. Viel eher ein Guerillakämpfer, ein Antispießer, ein Kämpfer, einer, der seiner Kraft auch in Vernehmungen ausgeliefert war. Schimmi – das war der liebste Guerillero der Deutschen, freilich ohne cheguevaraesken Dschungelappeal.

So wollte man sein als deutscher Mann, wenigstens ein bisschen: nix Ärmelschoner-Ästhetik am Schreibtisch, eher der Held, der seine Fälle draußen an der frischen Luft löst (und das immer mit Frauen, die er begehrt und bei denen er doch nicht bleiben kann oder will). Götz George, das war das Antibild zum Baumarktschrebergärtner, der Kumpel, allerdings einer, der auf Distanz setzt. Seine Urlandschaft – und das Publikum liebte es mit Schauer – war Duisburg, die Ruhrpottstadt ohne Schick und Charme, rau und schwitzend.

Eine ganz ungewöhnliche Schönheit, ein Mann, der alle körperliche Wucht nicht wie einen Übergriff aussehen ließ, eher wie ein scheues Angebot, sich faszinieren zu lassen.

Knapp vier Jahrzehnte ist das her: Niemand konnte ahnen, dass ein solcher Kommissar, ein unparfümierter James Bond in Elendsquartieren, Pop werden würde. Götz George spielte diese Rolle bis ins höhere Alter dauerhaft: Schimanski und George – Quote mit Garantiesiegel.

George, der es zeitlebens hasste, von Medien privat besichtigt zu werden und ein unbeleuchtetes Leben zwischen Sardinien und St. Georg (Hamburger Stadtteil an Außenalster und Hauptbahnhof) zu führen, war einer der Lieblingsschauspieler Helmut Dietls. Spielte in „Schtonk“, „Rossini – oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief“ und zuletzt im gescheiterten Film „Zettl“.

Freilich war Götz George mit dem Älterwerden mehr und mehr an der Auseinandersetzung mit seiner familiären und damit politischen Vergangenheit interessiert, an Stoffen aus der Nazizeit Deutschlands. Für die Rolle in „Der Totmacher“ (Regie: Romuald Karmakar, 1995) gab er den Serienmörder Fritz Haarmann – im Dialog mit seinem Psychiater. George bekam dafür den Darstellerpreis der Filmfestspiele von Venedig. Kunstkino, wenn man so will, das sich auch an der Kinokasse erlöste – und kein Vergleich mit den populärer angelegten, äk­tschn­orientierten Rollen.

Nebenbei: Götz George hat als Schauspieler vieles gemacht, das ihn in Feuilletons beliebt machte, wozu eben nicht Produktionen wie „Liebe versetzt Berge – Alpenglühen 2“ zählten. 2013 spielte er gar seinen eigenen Vater, Heinrich George: die stärkste Annäherung an die eigene Gewordenheit, für Sohn Götz, der seinen Vater als kleines Kind zuletzt sah und in diesem zeitlebens ein unerreichbares Vorbild sah, ganz unvermeidlich, sich diesem immer wieder auszusetzen.

In Hamburg ist Götz George am 19. Juni an den Folgen, wie es heißt, einer kurzen, schweren Erkrankung im Kreis seiner Familie gestorben. Dass die Öffentlichkeit dies erst eine knappe Woche später erfuhr, spricht für Georges Fähigkeit, sich abzuschotten. Man wird Schimanski-Folgen zu seinem Gedenken ausstrahlen und andere Filme auch. Sie lohnten schon zu seinen Lebzeiten.