Kolumbien

Mehr als 50 Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs wollen die Regierung und die Rebellen der Guerilla Farc endlich Frieden schließen

Vor dem lang ersehnten Umbruch

Frieden Der bewaffnete Konflikt Kolumbiens prägte vier Generationen des Landes. Noch am Donnerstag sollte der Waffenstillstand von Präsident Juan Manuel Santos und Farc-Chef „Timochenko“ unterzeichnet werden

Februar 2016: Während einer Infostunde zum Ablauf des Friedensprozesses in den kolumbianischen Anden machen sich Mitglieder der Farc Notizen Foto: Luis Acosta/afp

VON Gereon Asmuth UND Jürgen Vogt

BERLIN/BUENOS AIRES taz | Uriel Benjumea schlägt einen Salto. Er springt auf eine alte mechanische Schreibmaschine zu, die auf dem Boden steht, versucht die Tasten zu ergreifen, wird aber von einem jungen Mann zur Seite geschoben, der ebenfalls an die Tasten drängt. Benjumea ist Leiter einer kleinen Theatergruppe. Unter einem Zirkuszelt hoch oben in den Bergen über der Millionenstadt Medellín proben sie ihr neuestes Stück „Legal/Illegal“. Sie wollen damit über die Dörfer ziehen, um den dort lebenden Menschen spielerisch zu zeigen, dass sie Rechte haben. Und welche. Und wie sie die gegenüber staatlichen Institutionen einfordern und durchsetzen können. Zum Beispiel mit einer Schreibmaschine.

Das ist für viele Kolumbianer tatsächlich Neuland. Seit über 50 Jahren ist der südamerikanische Staat vom Bürgerkrieg mit der Guerillabewegung Farc geprägt. Nach Angaben des Historischen Zentrums der Erinnerung Kolumbiens haben die militärischen Auseinandersetzungen, an denen auch andere Guerilleros und Paramilitärs beteiligt waren (siehe Text unten), rund 6,5 Millionen Opfer gefordert. 5,7 Millionen Menschen wurden vertrieben und 220.000 getötet. Zudem sind 25.000 Personen verschwunden und 27.000 wurden entführt. Und noch immer werden ländliche Regionen Kolumbiens von der Guerilla beherrscht. Sie ersetzt dort sämtliche staatlichen Strukturen bis hin zur Rechtsprechung. Es wird also höchste Zeit für Projekte wie die des teatro inedito von Uriel Benjumea. Denn Kolumbien steht vor einem lang erwarteten Umbruch.

„Die Delegationen von Regierung und Farc geben der Öffentlichkeit bekannt, dass wir zu einer erfolgreichen Übereinkunft für einen Waffenstillstand und der beidseitigen und endgültigen Einstellung der Feindschaften gekommen sind.“ Mit diesen Worten gaben Kolumbiens Regierung und die Farc am Mittwoch das Ende des Konflikts bekannt, der vier Generationen des Landes geprägt hat.

Noch am Donnerstag sollte in der kubanischen Hauptstadt Havanna ein endgültiger Waffenstillstand unterzeichnet werden. Dort führen Regierung und Farc bereits seit 2012 Friedensgespräche mit dem Ziel, den Bürgerkrieg zu beenden. Im Beisein von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon wollten Präsident Juan Manuel Santos und Farc-Chef Rodrigo Londoño alias „Timochenko“ besiegeln, die Kriegshandlungen zu beenden. Lediglich an Feinheiten werde noch gearbeitet, hieß es aus Verhandlungskreisen. Der 22. Juni ist „der letzte Tag dieses Krieges“, twitterte Carlos Antonio Loza­da von der Delegation der Farc.

Der Konflikt zwischen dem Staat und der sich selbst als marxistisch bezeichnenend Farc (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens, begann 1964, als die Armee aufständische Bauern in den Anden angriff, nur 38 von ihnen überlebten.

Fast genauso lang ist auch die Geschichte der Friedensbemühungen. Mit der Farc etwa hatte die Regierung im Jahr 1984 schon einmal Frieden geschlossen. Er scheiterte, nachdem Anhänger einer der Guerilla nahestehenden Partei zu Tausenden von rechtsgerichteten Paramilitärs getötet wurden.

Nach der Jahrtausendwende eskalierte der Konflikt vollends. Die Farc finanzierte sich über Drogengeschäfte und Entführungen. Unter Präsident Álvaro Uribe wurde die Guerilla militärisch in die Dschungelgebiete des Landes zurückgedrängt, dabei gab es Tausende Tote. Ausgerechnet der damalige Verteidigungsminister Juan Manuel Santos ließ sich – nachdem er Präsident geworden war – 2012 auf Friedensgespräche ein. Von seinem politischen Ziehvater Uribe, der Verhandlungen vehement ablehnt, hat sich Santos emanzipiert. Anders als seine Vorgänger will er im Jahr 2018 dem nächsten Präsidenten „ein Land in Frieden übergeben“.

Seit 2010 wird die Republik Kolumbien von Juan Manuel Santos regiert. Das Land hat rund 46 Millionen Einwohner, wovon mehr als zwei Drittel in Städten wie der Hauptstadt Bogotá leben. Die Wanderungsbewegungen vom Land in die Städte sind noch immer massiv – was lange vor allem mit dem bewaffneten Konflikt zusammenhing. Auch Armut und hohe soziale Ungleichheit sind Gründe: Im Jahr 2012 waren fast 30 Prozent der Menschen von ernsthafter Armut betroffen, während die reichsten 20 Prozent der Bevölkerung über 62 Prozent des gesamten Einkommens verfügten. (taz)

Dafür nimmt er sich alle nötige Zeit. Der bereits für den 23. März angekündigte Friedensschluss wurde verschoben, da keine Einigung über einen Waffenstillstand gefunden wurde. Diese Hürde wurde jetzt genommen. Beide Seiten beschlossen einen Zeitplan für die Abgabe der Waffen, bestimmte Zonen, in denen sich die Guerilla aufhalten kann, sowie eine Sicherheitsgarantie für die Rebellen.

Bis das endgültige Friedensabkommen unterzeichnet wird, wird es noch dauern. Präsident Santos hat als mögliches Datum Kolumbiens Nationalfeiertag, den 20. Juli, angekündigt. Und dann steht noch das Referendum aus, das Santos versprochen hat. Dabei sollen alle KolumbianerInnen über das Friedensabkommen abstimmen und es somit legitimieren.

Wie der posconflicto, die Zeit nach dem Konflikt, aussehen wird, ist seit Monaten das große Thema in Kolumbiens Medien. „Es kann nicht um Bestrafung gehen“, sagt Theaterdirektor Benjumea. Wichtiger seien Wahrheit und Versöhnung. Benjumea erzählt die Geschichte einer Frau, die er bei einem seiner Projekte kennengelernt hatte. Ihr Mann und ihr Sohn waren von einem Guerillero getötet worden. Der Mörder, das hätten alle gewusst, lebte in der selben Straße. Irgendwann habe der Täter an die Tür der Witwe geklopft und gesagt, ja, ich habe deinen Mann und deinen Sohn getötet, aber es war nichts Persönliches, es war die Politik. Er fragte, ob sie ihm verzeihen könne. Sie habe schließlich die Entschuldigung angenommen, erzählt Benjumea, und sich dann so leicht, so befreit gefühlt wie lange nicht.