piwik no script img

Piercings, Popcorn und eine Knolle Rote Bete

Performance Der „Sweet Peep Salon“ widmete sich in Neukölln dem Zusammenhang zwischen Sex und Essen, weiblichem Begehren und Hunger, der gebändigt werden soll

Penetrieren und saugen: Performance mit Obst und Werkzeug von Winnie Ho Foto: Ana-Halina Ringleb

Von Annina Lehmann

Hinter einem weißen Duschvorhang schimmert gedämpftes Licht. Eine 50-Cent-Münze klingelt im Automaten, und der Vorhang setzt sich langsam ruckeln in Bewegung. „Hello“, sagt eine dunkelhäutige Frau auf Englisch. „Wie geht’s dir?“ Die Frau ist nackt und liegt in einer Badewanne in einer violetten Brühe, etwa eine Armlänge entfernt. Ihre Nippelpiercings schwimmen an der Oberfläche. Worin sie da badet? „Rote Bete,“ flötet sie wie selbstverständlich und holt eine große, runde Knolle zwischen ihren Beinen hervor. „Willst du mal probieren?“

Es ist Samstagabend in einer kleinen Galerie in Berlin-Neukölln namens Studio Baustelle. Die Dame in der Badewanne ist Teil der Performance „Sweet Peep Salon“, in der drei Tage lang probiert wurde, wie Essen und Erotik zusammenpassen. Die Peepshow hatte ihre Blüte in den 1970er Jahren: Gegen kleines Geld konnte Mann in einer Kabine durch ein Guckloch spähen und weibliche Darstellerinnen in expliziten Posen beobachten. Taschentücher waren inklusive, das Machtverhältnis zwischen zahlendem Voyeur und liefernder Tänzerin auch.

Lust am Objekt-Sein

Die Macherinnen des „Sweet Peep Salons“, Alisa Tretau und Julia Laube von JA! Produktion, erblicken in diesem Format jedoch subversives Potenzial. Die Zuschauer zahlen zwar auch hier, aber die Kontrolle über die Performance liegt ausdrücklich bei den DarstellerInnen – sie spielen mit dem Essen und mit der Lust am Objekt-Sein. Eine Art Pop-Feminismus à la Be­yon­ce also, wenn auch etwas unordentlicher und expliziter.

Das Erlebnis beginnt im Wartezimmer. Zeit, den Blick schweifen zu lassen und das Spionieren zu üben. Weiße Bürojalousien begrenzen den Raum, Plastikstühle stehen am Rand. An den Wänden kleben exotische Blumenmuster und erotische Fotos: Eine Frau hält eine Banane in der Hand, die sie von Bild zu Bild in eine Vulva verwandelt. Ganz schön matschig. Schnell ein paar bunte Jellybeans lutschen, die neben dem veganen Kochbuch auf einem Tisch in der Mitte stehen. Auf einem Flachbildschirm werden wie auf dem Bürgeramt die Wartenummern angezeigt, in einer Ecke des Bildschirms schnippeln zwei Hände Obst. Eine neutrale Frauenstimme heißt die Besucher willkommen und erklärt die Regeln: Wenn das rote Lichtlein brennt, darf man in die Kabine, eine Minute pro Münze, keine Fotos. Dann blinkt auf einmal die eigene Nummer: Es geht los.

Knapp die Hälfte der Besucher sind Männer, der größere Teil Frauen. Auch wenn das Thema Essen und Sex die Gendergrenzen überschreitet, so liegt der Fokus der Performance doch auf dem weiblichen Verlangen. Einerseits ist das ein feministischer Trend: Bewegungen wie PorYes, die feministische Gütesiegel für pornografische Filme verleihen, und einzelne Personen wie etwa die Erotik-Filmemacherin Erika Lust wollen Pornografie neu besetzen und die weibliche Lust in den Vordergrund stellen.

Andererseits, so die These der Initiatorinnen des „Sweet Peep Salons“, werden gerade Frauen oft in bestimmte Verhaltensmuster hinein sozialisiert, die den genussvollen Umgang mit Essen und Sex zum Tabu machen. Wenn man dieser Argumentation folgt, lässt sich das auf die gesamte gesellschaftspolitische Ebene ausweiten, wie die englische Autorin Laurie Penny schreibt: „Von allen weiblichen Sünden ist Hunger die unverzeihlichste; Hunger, egal wonach, nach Essen, Sex, Macht, Bildung, Liebe. Wenn uns nach etwas verlangt, haben wir dieses Verlangen zu verbergen, zu bändigen, uns zu beherrschen.“

„Von allen weiblichen Sünden ist Hunger die unverzeihlichste; Hunger, egal ­wonach, nach Essen, Sex, Macht, Bildung, Liebe“

Laurie Penny

So konfrontativ wie in dieser Kritik geht es bei der Performance allerdings nicht zu. Es geht zwar darum, mit Verlangen zu spielen und konventionelle Grenzen zu hinterfragen, aber im Vordergrund steht die Unterhaltung und der Reiz des Absurden. Die einzelnen Mini-Shows sind eher amüsant als erotisch.

Schleifchen im Haar

So schält in einer zur Guckkastenküche verwandelten Kabine ein molliger Mann betont langsam eine Zwiebel mit den Händen. Er trägt Schleifchen im Haar, rot lackierte Fingernägel und schmunzelt dabei immer wieder lasziv zum Zuschauerfenster hin. Automatisch schmunzelt man zurück und fühlt sich gleichzeitig irgendwie ertappt. Wie genau darf man hinsehen und will man hinsehen?

Ähnlich geht es in der Liegekabine, in der hinter einer großen Plexiglasscheibe eine Frau den nackten Körper mit Popcorn eingekleistert hat und sich mit einem Pinsel um den offenen Mund fährt. Es ist ein krasses Bild, das einen in den Bann zieht und gleichzeitig irritiert. Es brennt kurz in der Netzhaut, dann rattert der Vorhang langsam wieder zu.

Wieder zu sehen im Rahmen von 48H Neukölln in der Bar Rotbart

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen