Ein bisschen Folter ist okay

Asylrecht Die Regierung gibt zu, dass die Polizei in Tunesien foltert. Und deklariert das Land trotzdem als „sicher“. Bundesrat muss „irrwitziges Gesetz“ stoppen, fordern Grüne

Protest gegen Folter der Polizei in der tunesischen Hauptstadt Tunis im Oktober 2014 Foto: Mohamed Messara/dpa

von Ulrich Schulte

BERLIN taz | Die Bundesregierung hat eingeräumt, dass Schwule und Lesben in Tunesien häufig von Übergriffen und Diskriminierung betroffen sind – und dass es Fälle von Folter in dem nordafrikanischen Staat gibt. Das geht aus einer Antwort des Auswärtigen Amts auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervor, die der taz vorliegt. Die Regierung will die Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten erklären, um Asylbewerber aus diesen Ländern schneller abschieben zu können.

Die Grünen fragten, wie viele Bedrohungen, Einschüchterungen und gewalttätige Übergriffe es gegen Schwule, Lesben oder Transsexuelle in Tunesien gebe. Sie fragten weiter, ob sie beim Zugang zu Wohnungen, Jobs, zu Bildung oder öffentlichen Leistungen diskriminiert würden. Die Bundesregierung gehe davon aus, dass solche Benachteiligungen und Diskriminierungen in Tunesien „häufig vorkommen“, heißt es in der schriftlichen Antwort des Auswärtigen Amts an die Fraktion vom 3. Juni. Statistiken lägen der Regierung nicht vor.

Die Regierung gibt auch zu, dass es Fälle von Folter in Tunesien gibt. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International berichten immer wieder von Polizeigewalt gegen Gefangene. Im Oktober 2014 starb der 32-jährige Mohamed Ali Snoussi, der zuvor wegen mutmaßlicher Drogendelikte in Tunis festgenommen worden war. Er war schon bei der Festnahme von Polizisten misshandelt worden. Verwandte, die seinen Leichnam sahen, bezeugten Verletzungen am Hinterkopf und blaue Flecken am ganzen Körper.

In der Antwort auf die Grünen-Anfrage erklärt sich die Regierung zu den Berichten von Amnesty und Co. „Das Ausmaß von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung durch tunesische Behörden ist nach einhelliger Einschätzung von Experten stark zurückgegangen.“ Die Bundesregierung setze sich gegenüber der tunesischen Regierung „für die vollständige Beendigung“ von Folter ein und mahne zur Einhaltung der Menschenrechte.

Im Klartext: Die Regierung bestreitet nicht, dass Folter in Tunesien durch staatliche Behörden existiert. Sie sagt nur, dass es wenigerFolter gibt als früher.

Luise Amtsberg, die Flüchtlingsexpertin der Grünen-Fraktion, sagt: „Die Maghreb-Staaten sind nicht sicher. Das bestätigt die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfragen erneut.“ Der Bundesrat müsse das „irrwitzige Gesetz“ noch stoppen. Sonst setze er das menschenrechtspolitische Ansehen der Bundesrepublik aufs Spiel.

Der Bundestag hat das Gesetz, das Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten macht, Mitte Mai mit den Stimmen von Union und SPD beschlossen. Der Bundesrat soll es am 17. Juni absegnen. Die zehn von Grünen mitregierten Bundesländer könnten das Gesetz blockieren.