Öffentliches Wohnzimmer

GENTRIFIZIERUNG Während Wohnungslose aus der Bremer Innenstadt vertrieben werden, eröffnete die Innere Mission gestern in Gröpelingen einen hölzernen Unterstand als „Szene-Treffpunkt“

„Die sitzen ja nicht primär zum Trinken auf Parkbänken“

Jonas Pot d’Or, Streetworker

Das sorgt für Unmut: Am Gröpelinger Straßenbahndepot, auf den Parkplätzen der Supermärkte und im Grünzug West treffen sich Menschen des Bremer Westens, die Probleme mit Drogen, Alkohol und Perspektivlosigkeit haben. Um die Konflikte zu entspannen, eröffnete gestern die Innere Mission einen neuen „Szene-Treffpunkt“.

An der Stapelfeldstraße entstand auf einem abseits gelegenen Platz ein 20 Quadratmeter großer, überdachter Unterstand mit Sitzgelegenheiten. Jonas Pot d’Or, Streetworker der Inneren Mission, taucht dort montags und donnerstags auf und steht für Anliegen der Besucher zur Verfügung. „Von 10 bis 16 Uhr wird der Ort täglich genutzt“, prophezeit er, „die Szene der Wohnungslosen umfasst im Westen etwa 100 Menschen, aber mehr als 30 werden nie gleichzeitig anwesend sein.“

Konkret zu planen begann Pot d’Or das Bauprojekt im Sommer 2013. Im Oktober des Jahres beschloss der Sozialausschuss des Beirates Gröpelingen einstimmig seine Unterstützung. Bis der Bauantrag genehmigt und der Platz für den Unterstand gepflastert war, vergingen zwei Jahre. Im April 2016 starteten Pot d‘Or, ein Kollege und zukünftige Nutzer, das „öffentliche Wohnzimmer“ zu tischlern.

„Die Kosten belaufen sich auf 4.000 Euro und wurden je zur Hälfte über Globalmittel und Privatspenden finanziert“, so die Innere Mission. Die Bremer Straßenbahn AG spendierte die Pflasterung für diesen erst zweiten Unterstand der Stadt. Der andere steht seit 2008 am Aumunder Heerweg in Vegesack.

Gelernt hat Pot d’Or vom Scheitern seines Pilotprojektes. „Das realisierten wir 1999 für 5.000 Mark im Grünzug, aber es gab schnell Beschwerden von 130 Anwohnern über Lärm, Müll, Gestank, öffentliches Urinieren, verstellte Rad- und Fußwege; einige äußerten Angst vor Menschen, die schon morgens Korn trinken und mittags betrunken sind“, erinnert sich der Streetworker. Nach einem Jahr musste der Unterstand wieder abgerissen werden.

Am jetzigen Ort gibt es als Nachbarn nur die Toten des Friedhofs Gröpelingen und zum Urinieren ein Dixi-Klo, das einmal wöchentlich gereinigt wird. Müll soll in Tüten gesammelt und selbst entsorgt werden. Passanten gibt es kaum und der Lärm der angrenzenden Hauptstraße hat mehr Dezibel als jede Art von Gesprächsrunde.

Aufgrund ähnlicher Beschwerden wie einst in Gröpelingen wurde gerade eine weitere überdachte Aufenthaltsmöglichkeit abgeriegelt, nämlich die Arkaden am Kapitelhaus der Domgemeinde an der Domsheide. Ein Trend, Obdachlose aus dem touristischen Zentrum in weit entfernte Stadtteile zu vertreiben? Pot d’Or: „Nein, das war dort richtig ekelig dreckig, das ging so nicht weiter, aber anstatt 30.000 Euro für einen Zaun auszugeben, hätte man auch ein Tageslohnprojekt zum Saubermachen organisieren können.“

Schlimmer sei es aber, wie einfach die Bremer Polizei immer mal wieder versuche, Wohnungslose zu vertreiben. Laut Ortsgesetz begeht eine Ordnungswidrigkeit, wer sich „dauerhaft zum Zwecke des Alkoholkonsums auf Straßen, der Öffentlichkeit zugänglichen öffentlichen Flächen oder Bänken niederlässt und dadurch die Nutzung durch andere unzumutbar beeinträchtigt“. Das sei juristisch nicht haltbar, meint Pot d’Or. „Ich würde das gern mal durch die Gerichtsinstanzen fechten. Denn meine Leute sitzen ja nicht primär zum Trinken, sondern zum sozialen Austausch auf Parkbänken.“ FIS