Doku über nepalesische Aktivistin: Die befreite Sklavin
Für „Urmila – Für die Freiheit“ begleitet die Hamburger Filmemacherin Susan Gluth drei Jahre lang eine aus der Sklaverei befreite nepalesische Aktivistin.
In Nepal wird noch heute die Tradition der „Kamalaris“ lebendig gehalten: Kinder aus armen Familien werden als Haushaltssklaven an reiche Familien verkauft. So wurde Urmila Chaudhary im Alter von sechs Jahren nach Kathmandu verschleppt. Ihre Eltern bekamen jedes Jahr 50 Euro, dafür musste das Mädchen bis zu 15 Stunden am Tag arbeiten. Wäre dieser Film ein Spielfilm, würde ihr Schicksal möglichst berührend inszeniert, der dramatische Höhepunkt wäre ihre Befreiung –ihre Entwicklung zu einer Aktivistin, die den Protest gegen die Kindersklaverei in Nepal organisiert, wäre in einem kurzen Epilog abgehandelt worden.
Doch Susan Gluth wählt in ihrer Dokumentation über Urmila einen radikal anderen Ansatz: Sie malt keine Schreckensbilder von den brutalen Bedingungen der Kindersklaverei. Sie versucht nicht, ihre Titelheldin von dieser Zeit erzählen zu lassen. Auch die Umstände ihrer Befreiung werden nicht geschildert – dieser Film beginnt da, wo eine konventioneller erzählte Lebensgeschichte von Urmila aufhören würde.
Die Dokumentarfilmerin ist der jungen Frau über einen langen Zeitraum mit der Kamera gefolgt. Dabei hat sich ein enges Vertrauensverhältnis zwischen ihr und Urmila entwickelt, sodass sehr intime Aufnahmen vom Leben der jungen Frau möglich wurden, die aber nicht voyeuristisch wirken, sondern Zeugnis der Sympathie sind, mit der Gluth ihre Titelheldin betrachtet.
Urmila ist ein normales junges Mädchen, das noch auf der Suche nach seiner Identität ist. Sie hat große Träume von einer Karriere als Rechtsanwältin, sie muss sich allerdings Sorgen machen, ob sie die Versetzung in das nächste Schuljahr schafft. Gleichzeitig ist sie aber auch eine Person, die in der Öffentlichkeit steht, die Pressekonferenzen gibt, nach New York und Oslo reist und dort Reden hält. Bei einem Treffen des Premierminister Nepals fordert sie, dass dieser sich für das Ende der Sklaverei in seinem Land einsetzt.
Zuhause putzt sie dann wieder Kochtöpfe. Von einem wohlmeinenden Erwachsenen aus dem Westen wird sie gewarnt, dass sich die Karriere und der politische Kampf unmöglich zusammen bewältigen lassen. Tatsächlich ist sie manchmal ratlos und überfordert. Als sie bei einer Demonstration verletzt wird, bricht sie körperlich zusammen. Erholt sich dann aber wieder.
Gluth zeigt, wie schwer es für Urmila ist, ihren eigenen Weg zu finden und wie gravierend sich in ihrem Leben der Kontrast zwischen Tradition und modernem Leben auswirkt. Dennoch engagiert sie sich rückhaltlos für die Kampagne gegen Sklaverei in ihrem Land. Sie führt auf Dorfplätzen kleine Rollenspiele auf, in denen dargestellt wird, wie brutal die Sklavenhalter mit jungen Mädchen umgehen, die ihnen völlig ausgeliefert sind.
Man sieht das Entsetzen in den Augen junger Zuschauerinnen und bekommt einen Eindruck davon, wie wirkungsvoll diese Lehrstücke sind: Das Publikum besteht größtenteils aus Analphabeten, die keinen Zugang zu elektronischen Medien haben. So kommt das Theater hier sehr effektiv in einer seiner ursprünglichen, aufklärerischen und noblen Funktionen zur Geltung. Urmila organisiert Befreiungsaktionen, von denen Gluth eine mit einer kleinen, unauffälligen Digitalkamera –denn eine Drehgenehmigung hätte sie dafür nie bekommen –filmen konnte. Mit einer Gruppe von jungen Aktivistinnen beobachtet die Titelheldin die Passagiere in einem Busbahnhof und schreitet zusammen mit ihren Mitstreiterinnen recht forsch und selbstbewusst ein, als eine ältere Frau sich mit einem noch sehr jungen Mädchen verdächtig macht.
Mit Aktionen wie diesen und Demonstrationen, bei denen die jungen Frauen sehr ruppig von Polizisten angegangen, verhaftet und auf einem Transporter weggefahren werden, hatten sie letztendlich großen Erfolg. Denn inzwischen wurden 13.000 ehemalige „Kamalaris“ befreit und es soll nur noch etwa 150 von ihnen geben, die von mächtigen Familien versklavt werden. Man könnte also sagen, diese furchtbare Tradition ist inzwischen im Begriff, auszusterben.
Weil Gluth mit ihrer Kamera unmittelbar dabei war, ist sie während der langen Vorbereitungs- und Drehzeit in Urmilas Milieu fast heimisch geworden. Wegen dieser Nähe wirkt ihr Blick nie wie der einer westlichen Beobachterin –und so hat sie auch eine erschütternde Szene zwischen Urmila und ihrem Vater aufgenommen, bei der klar wird, dass mindestens sie ihren Frieden mit ihm geschlossen hat; wenngleich er aber dem alten Denken verhaftet bleibt und sie dazu auffordert, ihn finanziell zu unterstützen.
Urmilas trauriger Blick offenbart einen Moment der Wahrheit, wie ihn nur wirklich gute DokumentarfilmerInnen einzufangen vermögen.
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