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Die Frankfurter Museumschefin Hannah Lotte Lund Foto: Michael Benk

Kleists neue Direktorin

Die deutsche Literaturgeschichte ist reich und vielfältig, widerständig und angepasst, voller Höhen, Tiefen und Abgründe. Hannah Lotte Lund soll nun dafür sorgen, dass der Blick auf sie genauso differenziert bleibt. Die 1971 geborene Historikerin und Germanistin tritt Mitte August eine dafür wichtige Stelle an. Sie wird die neue Direktorin des Kleist-Museums in Frankfurt an der Oder.

Wichtig ist dieses Haus am Geburtsort von Deutschlands wildestem Klassiker wegen seiner 34.000 Bestandseinheiten in der Bibliothek und den Sammlungen. Das sind Schätze für die Kleist-Forschung. Vor allem wird dort, in Spuckweite der Oder, aber auch mit darüber bestimmt, wie lebendig wir überhaupt mit Heinrich von Kleist umgehen.

Gerade das Kleist-Museum hat da zuletzt für einige Entkrampfung gesorgt. Sehr bekannt wurde im Kleist-Jahr 2011 etwa die „Kleist-WG“. In ihr warfen sich Schüler mit Herzblut und Medienexpertise in die Auseinandersetzung mit dessen sprachmächtigen Texten.

In der Geschichte ist gerade Kleist aber auch immer wieder eng nationalistisch gelesen und politisch vereinnahmt worden. Die AfD versucht derzeit, die deutsche Nation auf deutscher Identität und deutscher Kultur zu begründen. Da könnte es – man weiß es nicht – zu erneuten Vorstößen in Richtung reaktionärer Kleist-Lesarten kommen. Auf jeden Fall ist es gut zu wissen, dass Hannah Lotte Lund für einen deutlich offenen Umgang mit dem Autor der „Penthesilia“, der „Hermannsschlacht“ oder auch der „Marquise von O.“ steht.

Sie promovierte an der Uni Potsdam mit einer Arbeit zum Berliner „Jüdischen Salon“ um 1800. Neben der Berlin-Brandenburgischen Literaturgeschichte gehören zu ihren Forschungsschwerpunkten die Bildung und Geselligkeit im 18. und 19. Jahrhundert sowie jüdische Geschichte und Geschlechtergeschichte. Die Vielstimmigkeit eines Salongesprächs, jüdische Emanzipation und Frauen – das sind interessant unverstaubte Kontexte, um sich mit Kleist zu beschäftigen. Für vaterländische Lesarten und einen engen Begriff davon, was deutsche Kultur ist, wird die neue Chefin des Museums nicht zu haben sein. Dirk Knipphals