Gegen das Vergessen angeradelt

VERKEHR „Ride of Silence“ erinnert auch in Hannover an Radfahrer, die auf den Straßen gestorben sind

Ein „Ghost Bike“ steht mitten in Hannovers Südstadt, an der Ecke zwischen Altenbekener Damm und Hildesheimer Straße. Das weiß gestrichene Fahrrad soll an den Tod erinnern: Im Januar geriet hier eine 76-jährige Frau unter einen Lastwagen. Mehr als 30 Meter wurde die Seniorin mitgeschleift.

Wie in 340 Städten in 20 Ländern weltweit treffen sich am Mittwochabend FahrradaktivistInnen auch in Hannover zum „Ride of Silence“. Erinnert wird an die auf öffentlichen Straßen getöteten Radfahrer. Vier waren das in Hannover allein im vergangenen Jahr – 2014 starben neun Menschen.

Schuld daran sei auch die noch immer auf den Autoverkehr zugeschnittene Straßen-Infrastruktur, finden die RadlerInnen: Viel zu oft endeten Radwege nicht vor, sondern direkt neben der nach rechts abbiegenden Autospur, erläutert der Aktivist Gerd Reincke: „Im toten Winkel des Rückspiegels sind weder Fußgänger noch Fahrradfahrer zu sehen.“

Nach kurzer Ansprache fahren rund drei Hände voll RadlerInnen los – eine Frau hat in einem elektrounterstützten Lastenrad drei Kinder mit an Bord. Auf der Straße, nicht auf Radwegen geht es in Zweierreihen vorbei an Rathaus und Universität: Als Gruppe von mehr als 15 Leuten ist das erlaubt. Selbst rote Ampeln dürfen überfahren werden, wenn der Anfang des Pulks sie bei Grün überquert hat – um Staus zu verhindern, soll die Gruppe wie ein großes Fahrzeug behandelt werden.

Ziel der Fahrt ist die Kreuzung zwischen Celler Straße und Hamburger Allee. Auch hier ist ein Rentner von einem rechtsabbiegenden Lastwagen zu Tode geschleift worden. „Völlig überdimensioniert“ sei die Asphaltwüste, findet der Ingenieur Hans-Christian Edelmann, der als Verkehrsplaner gearbeitet hat. „Die Radwege dagegen sind viel zu schmal.“

Im rot-grün regierten Hannover wird das nicht gern gehört. 13 Prozent aller Wege werden mit dem Rad gefahren, heißt es in ihrem „Leitbild Radverkehr“. Das Auto kommt auf 42 Prozent. Zwar sind die Investitionen für den Radverkehr zwischen 2012 und 2016 von zwei auf vier Millionen Euro verdoppelt worden. Für den Straßenbau fließen dagegen etwa 30 Millionen Euro jährlich – also das 7,5-fache.

Anforderungen an den Straßenbau seien technisch „deutlich anspruchsvoller“ und führten außerdem zu „ungleich höheren Bau-, Sanierungs- und Instandhaltungskosten“, sagt ein Stadtsprecher dazu. Der dänische Stadtplaner und Radfahrexperte Mikael Colville-Andersen kam dagegen schon im vergangenen Sommer zu einem ganz anderen Urteil: „Ich erkenne keine Strategie. Der Verkehrsraum wird für Autofahrer geplant, erst hinterher wird geguckt, wo noch Fahrräder hinpassen.“ ANDREAS WYPUTTA