piwik no script img

„Meine Sendung ist wie ein One-Stop-Shop“

POPRADIO Roadmovie durch die Frequenzen: ein Gespräch mit der britischen Moderatorin Mary Anne Hobbs über Musikleidenschaft, das John-Peel-Erbe, das Glück im Club und darüber, dass es sie nie berührt hat, im Musikgeschäft zur weiblichen Minderheit zu gehören

Mary Anne Hobbs

■ 1964 in Lancashire geboren, ist eine der großen Stimmen des BBC-Radios. Nach ihrer Rocksendung bewegte sie sich seit 2005 mehr in Richtung Dubstep und Grime. Ihre „Experimental Show“, jeden Donnerstag, hat eine große, treue Hörer-Fangemeinde. Nun ist ihre dritte Compilation erschienen. „Wild Angels“ hat etwas wunderbar Unentschlossenes, weil Hobbs sich bei der Auswahl nicht entscheiden wollte. Zwischen düsterem Instrumental-HipHop, kickendem Dubstep und tiefem House präsentiert sie Talente und unbekannte Künstler mit unveröffentlichten Songs.

■ Mary Anne Hobbs presents „Wild Angels“ (Planet Mu)

INTERVIEW JUNO MEINECKE UND JULIA GROSSE

taz: Ihre Biografie wurde mit einem 80er-Jahre-Roadmovie verglichen. Wie begann Ihre Karriere als Musikjournalistin?

Mary Anne Hobbs: Meine Leidenschaft für Punk und Alternative Rock ’n’ Roll habe ich sehr früh entdeckt. Als Achtzehnjährige bin ich aus meinem Heimatdorf nach London gezogen. Ich wollte unbedingt für die Musikzeitschrift Sounds schreiben und habe eines Tages einen riesigen Haufen meiner eigenen Fanzines an Sounds geschickt.

Dann ging es weiter nach L.A. …

… weil alle davon erzählten, wie toll es dort sei. Ich hatte rund 600 US-Dollar dabei und dachte mir: Mal sehen, wie weit ich damit komme…

Und wie weit kamen Sie?

Als ich zurück nach England kam, wurde ich eingeladen, für den NME zu schreiben. Ich begann, mich für elektronische Musik zu interessieren, reiste weiter, durch die USA, Indien…

Also tatsächlich eine Biografie wie ein Roadtrip…

Ich glaube, genau das macht meine Show aus: sich treiben lassen, Neues entdecken, sich weiterentwickeln. Eine Art Forschungsexpedition.

Wie fühlt es sich eigentlich an, als würdige Nachfolgerin von John Peel gehandelt zu werden?

Natürlich schmeichelhaft! Doch es wird niemals einen zweiten John Peel geben. Er ist schuld daran, dass ich das bin, was ich heute bin.

Inwiefern?

John war ein unglaublicher Radio-DJ, er brachte mir bei, wie man eine Radiosendung aufbaut, damit sie die Leute jede Woche aufs Neue umwirft. Er war ein unglaublicher Mensch, ein Lebensratgeber für viele von uns. Er vermittelte den Menschen Werte.

Lassen sich Ihre Sendungen mit denen von John Peel vergleichen?

Nicht wirklich, John spielte alles, von Death Metal bis zu abgefahrenen zerkratzten 78-Inch-Schellacks, die man nur mit einer speziellen Nadel abspielen kann. Bis heute weiß ich nicht, wie er es geschafft hat, sich mit so einem großen Spektrum an Musik auseinanderzusetzen. Ich wünschte, die BBC würde einen John-Peel-Sender etablieren, auf dem alle Sendungen aus seinen 38 Dienstjahren abrufbar sind. Stellen Sie sich vor, man könnte auf Zeitreise gehen: Lass mal sehen, was John im September 1972 musikalisch so beschäftigt hat…

Lässt die BBC Ihnen eigentlich alle Freiheiten in der Gestaltung Ihrer Show?

Absolut, ich kann im Grunde alle Musik spielen, die ich vorstellen möchte. Und ich weiß, dass das kein selbstverständliches Privileg ist. In Zeiten, in denen es den Medien täglich schlechter geht, ist es großartig, die BBC als Ort für hochwertige, akustische Kunst zu haben.

Früher hatte ein Radiomoderator großen Einfluss auf den Musikgeschmack der Leute. Heute kann man sich auf MySpace oder LastFM selbstständig durchhören. Entsteht dadurch eine neue Herausforderung für Sie als Moderatorin?

Tatsächlich ist genau das der Punkt, um den sich meine Show dreht. Es gibt viel zu viel. Man braucht so viel Zeit und Energie, um sich durch die unzähligen Seiten im Netz durchzuklicken und die Juwelen im Misthaufen zu finden. Deshalb nimmt meine Sendung an Wichtigkeit vielleicht sogar zu. Die Leute wissen, dass ich total verrückt bin und zehn Stunden am Tag Musik höre und dass ich absolut besessen bin von der Mission, wöchentlich das Feinste an Musik, was es auf der Welt gibt, zusammenzustellen. Meine Sendung ist wie ein One-Stop-Shop. Die Hörer können mir vertrauen. Ich habe, was sie wollen.

Sie gelten als prominentes Sprachrohr von Dubstep. Wie bekamen Sie eigentlich Zugang zu dieser Szene?

Über DMZ, dem legendären Label Digital Mystics, das auch die noch legendäreren Dubstep-Abende in Brixton veranstaltet. Ich bin das erste Mal 2005 durch die Türen des Brixton-Clubs „Mass“ zu diesen DMZ-Nights gegangen. Das hat mein Leben komplett verändert. Diese Clubnacht ist das Mekka für Dubstep, Leute reisen aus Japan, USA oder Australien an, um dabei zu sein.

Dubstep gehört in den Club, man muss dazu tanzen. Wieso funktioniert es dennoch übers Radio, in Ihrer Sendung?

Weil du durchs Hören durchaus ein Gefühl und einen Geschmack davon bekommst, was Dubstep ist. Die eigentliche, volle Kraft dieser Musik erlebst du allerdings tatsächlich nur im Club, wenn die Musik aus einem fetten, großartigen Bass-getriebenen Soundsystem donnert.

Neben Ihrer BBC-Sendung sind Sie auch eine erfolgreiche, international gebuchte Club-DJane. Wo liegt für Sie der Unterschied zwischen dem Auflegen für unsichtbare Radiohörer und dem für eine Partymenge?

Ich kann im Grunde alle Musik spielen, die ich vorstellen möchte. Das ist kein selbstverständliches Privileg

Bei einem DJ-Set muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Leute wegen dir kommen, sie zahlen Geld, um dich auflegen zu hören. Es ist ihr Wochenende und sie wollen tanzen, den ganzen Alltagsballast vom Körper schütteln. Darum kommen sie. Natürlich versuche ich trotzdem, viel Verschiedenes zu spielen, aber im Vordergrund steht Musik, die die Leute physisch bewegt. Beim Radio ist es eher so, dass ich viel Kopfmusik spiele, ich muss nicht wie im Club darauf achten, ob die Musik in einem bestimmten Ambiente funktioniert.

Auf Ihren Compilations, so auch auf Ihrer aktuellen CD „Wild Angels“, stellen Sie sehr erfolgreich neue Talente vor. Bekommen Sie viel MP3s unbekannter Musiker?

Rund 700 Stücke aus allen Ecken der Welt. Jede Woche!

Wie reagieren Sie eigentlich auf Nerds und Mucker, die davon überzeugt sind, dass Frauen niemals auf ihrem Niveau über Musik sprechen könnten?

Ehrlich gesagt wurde ich nie übergangen, weil ich eine Frau bin. Die meisten Menschen, mit denen ich in meinem Genre zu tun habe, sind Männer. Und die haben mich immer respektiert. Die meisten Künstler, die ich unterstütze, und auch der Großteil meiner Hörer sind ja Männer. Das Modell meiner Show ist sozusagen ein Dreieck: Da bin ich, die die Plattform bietet, der Künstler, der den Stoff zur Fütterung verabreicht und das Radiopublikum, das Woche für Woche nach neuem Stoff lechzt. Ohne eine dieser drei Komponenten wäre die Show wertlos, und ich muss zugeben, dass es mich nie berührt hat, in der weiblichen Minderheit zu sein.

Der NME hat seine erste Chefredakteurin – Krissi Murison. Ist das viellicht ein Trend: mehr Frauen in hohen Positionen im Musikgeschäft?

Schwer zu sagen. Ich werde immer wieder gefragt, warum es im Musikgeschäft so wenig Frauen gibt. Meine Antwort: Wenn ihr keine Frauen seht, dann seht ihr nicht richtig hin. Die Produzenten, die mich momentan am meisten faszinieren, sind Frauen, wie Vaccine und Tokimonsta aus den USA, Iconica aus England, Frauen mit unglaublichen Stimmen, wie Suzi Analogue oder Niki Randa von Blank Blue … Die Liste inspirierender Frauen im Popbiz ist endlos.

Wie geht es bei Ihnen weiter?

Ich werde mal wieder in die USA reisen, und natürlich ist meine Sendung ständig in Bewegung. Neulich habe ich mich mit jemandem unterhalten, der meinte: „Es wird einfach keine Innovation mehr in der Musik geben.“ Ich antwortete: „Denkst du nicht, dass die Leute das in den 60ern genauso gesagt haben? Sie haben Jimi Hendrix gehört und sich gefragt: Wie können wir uns jetzt überhaupt noch musikalisch weiterentwickeln, wir sind doch längst am Höhepunkt der Kreativität angelangt!“ Aber es gibt immer neues Blut in der Musik! Es geht alles weiter: Es kommt nur auf die Perspektive an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen