Zweifelhaftes Nachhaltigkeits-Zertifikat: Gütesiegel für überfischte Bestände
Forscher kritisieren das MSC-Nachhaltigkeits-Siegel, weil zertifizierte Fischbestände doch ausgebeutet werden. Auf das Siegel verzichten wollen sie aber nicht.
KIEL taz | Forscher des Kieler Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ haben das MSC-Siegel für nachhaltig gefangenen Fisch kritisiert. Der „Marine Stewardship Council“ vergebe sein Siegel auch für Fische, deren Bestand gefährdet sei oder die zu stark befischt werden. Das Versprechen, durch die Zertifizierung erholten sich schwache Bestände, habe sich nicht erfüllt. Der MSC warf den Kieler Forschern vor, sie ignorierten „den internationalen wissenschaftlichen Konsens in Sachen nachhaltiger Fischerei“.
Das blaue Label des MSC mit dem stilisierten Fisch ist auf vielen Produkten im Handel zu finden. Es verspricht den Verbrauchern, sie könnten guten Gewissens zugreifen, weil der Fisch aus einem Bestand kommt, der nicht gefährdet ist und der wirkungsvoll bewirtschaftet wird ohne der Meeresumwelt über Gebühr zu schaden.
Das Siegel ist allgemein anerkannt, auch von den Umweltverbänden. Allerdings gibt es immer wieder Kritik, die Vorgaben des MSC reichten nicht weit genug oder seien nicht wirkungsvoll genug.
In ihrer aktuellen Studie haben Forscher des Geomar-Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung und der Christian-Albrechts-Universität in Kiel 31 Fischbestände im Nordostatlantik betrachtet, die vom MSC zertifiziert wurden. Ziel war es, die Verlässlichkeit des Siegels zu testen. „Mehr als zehn Bestände wurden stärker befischt als ökonomisch sinnvoll und ökologisch vertretbar wäre“, stellen die Forscher fest.
Der Marine Stewardship Council (MSC) wurde 1997 vom Unileverkonzern und der Umweltstiftung WWF gegründet. Seit 1999 ist er unabhängig.
Das Siegel, ein stilisierter Fisch in einem blauen Oval, kennzeichnet Produkte aus nachhaltiger Fischerei. Damit ist die Kombination aus einer Art, einem Fanggebiet und einer Fangmethode gemeint.
Neben den Siegeln vom MSC und anderen gibt es Einkaufsratgeber für Fisch, wie sie seit einigen Jahren vom WWF und Greenpeace veröffentlicht werden.
Vorteil der Siegel ist, dass sie einfache Orientierung bieten.
Die Studie bezieht sich auf die Einschätzungen des Internationalen Rats für Meeresforschung (Ices). Demnach wurde im ersten Jahr der MSC-Zertifizierung in elf Beständen auf eine Weise gefischt, die künftige Fänge gefährdet. Vier der Bestände waren so schwach, dass ihre Reproduktionsfähigkeit in Frage gestellt ist.
Der MSC habe die Fischerei in diesen Beständen mit dem Hinweis zugelassen, durch die Zertifizierung und die damit verbundenen Auflagen werden sich die Bestände erholen. Das sei aber nicht der Fall, behaupten die Kieler. Im jüngsten Zertifizierungsjahr seien immer noch sieben der Bestände überfischt und fünf bedroht gewesen.
Die Autoren der Studie empfehlen, die Richtlinien des MSC so zu ändern, dass die Zertifizierung aufgehoben werden muss, sobald ein Bestand überfischt wird oder gefährdet ist. „Die sollen sich einfach daran halten, was in den Vorgaben der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU steht“, fordert Co-Autorin Silvia Optiz.
Der MSC findet, dass die Forscher die Vorgaben des Ices zu eng auslegen. Die Größe eines Fischbestandes und wie intensiv er befischt werde, dürften nicht isoliert voneinander betrachtet werden. „Um beurteilen zu können, wie gefährdet ein Bestand ist, muss man immer beide Faktoren beobachten“, sagt MSC-Sprecherin Andrea Harmsen. Ein stabiler Bestand könne auch mehr Fischerei vertragen.
Darüberhinaus berücksichtigt der MSC bei der Vergabe seines Siegels, ob sich ein Bestand eher gut oder schlecht entwickelt, wie stark er natürlicherweise schwankt und wie professionell er gemanagt wird. Aus dem Kontext gerissene Betrachtungen wie in der Kieler Studie erlaubten keine tragfähigen Aussagen.
Auch die Behauptung, dass eine MSC-Zertifizierung nicht zu einer Verbesserung der Fischerei beitrage, sei falsch. „Es gibt solide Belege dafür, dass MSC-zertifizierte Fischereien den Zustand der Fischbestände in unseren Ozeanen nachhaltig verbessern“, sagt David Agnew, der für Wissenschaft und Standards beim MSC zuständig ist.
Eine Anfang Juni erscheinende Studie zeige, dass sich die Bestände der MSC-zertifizierten Fischereien zwischen 2000 und 2014 deutlich besser entwickelt hätten als die der nicht zertifizierten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine vom MSC in Auftrag gegebene Studie bereits 2012. Greenpeace wiederum kritisiert ebenso wie die Kieler Forscher, dass „erschöpfte Bestände unter bestimmten Umständen weiter befischt werden“ können.
„Mit Siegel ist besser als ohne“, sagt die Forscherin Opitz. Um sich das Vertrauen der Verbraucher zu erhalten, müsse man aber an seiner Glaubwürdigkeit arbeiten.
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