Früher Abend am Kotti, sieht nach Idylle aus – chillen mit Didgeridoo auf dem Rasen inmitten des Kreisverkehrs. So ein Bild hat niemand in Verbindung mit den Medienberichten über die Sicherheitslage am Kotti gedruckt

Komm mal Kotti

AufregerAuf einmal soll der Platz rund um den U-Bahnhof Kottbuser Tor eine gefährliche „No-go-Area“ sein. Aber stimmt das auch?

Von Susanne Messmer
(Text) und Christian Jungeblodt (Foto)

Das gibt es immer wieder in großen Städten wie Berlin: Plötzlich ploppt ein Ort auf, der schon immer ein wenig wilder war als andere, es gibt eine entsprechende Polizeistatistik, und ein Medium nach dem anderen springt auf – bis schließlich selbst Freunde und Kollegen, die eigentlich eher als unerschrocken gelten, erklären: Nie wieder gehe ich da freiwillig hin!

Es war etwa sechs Wochen nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht, am 18. Februar 2014, als der Tagesspiegel den ersten Artikel über das Kottbusser Tor brachte. Über jenen Ort, von dem sechs Straße abgehen, an dem sich die brutale Architektur der Sechziger türmt, an dem Dealer seit Jahren offen mit Drogen handeln. Die darin aufgelisteten Argumente waren schlagend: doppelt so viele Taschendiebstähle, mehr Raub, mehr Drogenhandel.

Ein Anruf bei der Polizei bestätigt dies und ergibt ein genaueres Bild: Während 2014 insgesamt 361 Taschendiebstähle angezeigt wurden, waren es 2015 schon 787. Die Zahl der Raubdelikte stieg in diesem Zeitraum von 52 auf 82, die der Körperverletzungen von 49 auf 68.

Sowohl beim Tagesspiegel als auch bei denen, die vor allem den ganzen März hindurch – von der New York Times bis zur Süddeutschen – folgten, war von Flüchtlingen aus Nordafrika die Rede, die die Frauen wie in Köln antanzten, die Treibjagden auf Schwule veranstalteten, Menschen verletzten, dealten. Es war von „Gesetzlosigkeit“, von einer „No-go-Area“, von einem „Platz der Verdammten“ die Rede – und immer wieder von Angst und Bedrohung.

Es ging aber auch immer wieder um Anwohner, die das Areal rund ums Kottbusser Tor nicht so hässlich beschreiben, wie es immer heißt, sondern als Lebenswirklichkeit, in der viele nach wie vor leben, ausgehen und Restaurants, Cafés, Spätis und Bars betreiben. Ständig wurde der Betreiber der Bar Möbel-Olfe, Richard Stein, zitiert, der mit anderen Gewerbetreibenden am Kotti regelmäßig Spaziergänge unternimmt und die Polizei ruft, wenn etwas passiert.

Die Polizei, die 2015 bereits 5.542,5 Stunden am Kotti investierte statt nur 1.040 Stunden wie im Jahr 2014, geriet in die Kritik. Innensenator Frank Henkel (CDU) musste sich rechtfertigen. Und der Regierende Bürgermeister Michael Müller sah sich zur Klarstellung genötigt, in Berlin existierten keine „rechtsfreien Räume“.

Uniformierte ­Männer sind keine langfristige Lösung für die Probleme am Kotti. Im Augenblick aber sind sie ein probates Mittel

Nun lässt die Polizei „an nahezu jedem Abend ab 21 oder 22 Uhr“, so Sprecherin Kerstin Ismer, ihre Leute uniformiert präsent sein. „Wir haben bereits positives Feedback von Anwohnern und Gewerbetreibenden vor Ort“, sagt sie.

Hinzu kommt seit Anfang April ein privater Sicherheitsdienst, eingesetzt von drei Hausverwaltungen, die gemeinsam zuständig sind für das Neue Kreuzberger Zentrum, den Betonklotz über der Adalbertstraße, in dem sich 300 Sozialwohnungen befinden. Mehr als 20.000 Euro kostet es monatlich, dass von 16 bis 3 Uhr ein bis zwei Streifen von jeweils zwei Männern im Einsatz sind. Auch hier sei die Resonanz unter den Anwohnern gut, so die Kremer Hausverwaltungen.

Uniformierte Männer sind bestimmt keine langfristige Lösung, die die Probleme am Kottbusser Tor an der Wurzel packten. Im Augenblick aber sind sie eine probate Übergangslösung, die unter den Anwohnern, Gewerbetreibenden und Passanten am Kotti für Erleichterung sorgt. Denn viele finden: Der Kotti ist trotz allem ein toller, ein aufregender Ort. Er muss unbedingt so bleiben.

„Ein Ort von Schwarz zu Blau“, das 24-Stunden-Projekt ­Kottbusser Tor: subjektive Momentaufnahmen des angeblich gefährlichsten Ortes der Hauptstadt ▶SEITE 44, 45