Hungern als Strafe

HEIME „Spiegel“-Bericht bezweifelt Aussagen der Kieler Sozialministerin Alheit, in einem umstrittenen Jugendheim habe es keinen Entzug von Essen als Strafmaßnahme gegeben

Kristin Alheit (SPD) ist weiter unter Druck. Vor einer Woche hatte Schleswig-Holsteins Sozialministerin – im Einklang mit ihrer Statssekretärin – versichert: Der Vorwurf, dass es zu wenig zu Essen gegeben habe, habe sich in den Heimen der „Rimmelsberg Kinder und Jugendhilfe“ nicht bestätigt. Das bezweifelt Der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe.

Dem Magazin liegt ein Brief der Heimaufsicht des Landes vom 15. Juli 2015 vor. Gerichtet an den Betreiber der Rimmelsberg-Heime listet ein Behördenmitarbeiter nach einer „örtlichen Prüfung vom 10. 07. 2015“ Punkte auf, die „unverzüglich abzustellen“ seien. Und da heißt es auch, der Betreiber müsse sicherstellen, dass „Grundbedürfnisse (z. B. Nahrung, Wasser) der Betreuten nicht von MitarbeiterInnen sanktioniert werden“.

„Der Entzug von Essen und Getränken“, folgert der Spiegel, „gehörte wohl zu den üblichen Strafen.“ Ein Sprecher des Ministeriums bestreitet das: Einzelne Vorgehensweisen seien lediglich „präventiv untersagt worden“.

Gegenüber Hamburger Sozialarbeitern hatten zwei Insassen erklärt, es habe manchmal nur Brot und versalzene Brühe gegeben – als Strafe. Berichten Dritter zufolge soll zeitweise gar eine rote Verkehrsampel eingesetzt worden sein: Wurde es beim Essen zu laut, wurde es abgebrochen – egal, ob manche Kinder noch nicht satt waren.

Der Träger der Jugendhilfeeinrichtung äußert sich derzeit nicht zu einzelnen Vorwürfen, verspricht aber „Transparenz statt Verschwiegenheit“ und lädt kommenden Donnerstag die Presse ein. Man sei dankbar, mit der Heimaufsicht „so eng zusammenzuarbeiten“, erklärt Inhaber Manuel Feldhues. „So können wir guten Gewissens sagen, dass hier nichts unbearbeitet geblieben ist.“

Offenbar hatte die Heimaufsicht viel Geduld. Laut dem zitierten Schreiben hatten verschiedene Mitarbeiter im Juni 2013 nur eine befristete Anerkennung als Fachkraft erhalten. Schon da habe das Ministerium vom Betreiber Kopien der Abschlusszeugnisse gefordert – die lagen zwei Jahre später offenbar immer noch nicht vor. Bei anderen Einrichtungen hat das Fehlen von Fachpersonal zur Schließung geführt.

Unterdessen geht Ministerin Alheit in die Offensive: „Kon­trolle und Aufsicht kann nicht alles allein segeln“, sagte sie am Freitag. Nötig sei ein gesellschaftlicher Diskurs darüber, wie Jugendliche mit besonderem Hilfebedarf in Einrichtungen angemessen unterstützt werden. Alheit will jetzt die Heimträger zu einer Konferenz einladen mit dem Ziel einer „selbstverpflichtenden Qualitätsoffensive“. Zur „besseren Vernetzung“ lädt sie andere Jugendämter, die Kinder in Schleswig-Holstein unterbringen, ein. Im Sinne der Transparenz sollen auch die Fachpolitiker anderer Parteien regelmäßig von der Arbeit der Heimaufsicht erfahren.

Den Vorwürfen gegen ein Heim in Dithmarschen, die am Montag der Piraten-Abgeordnete Wolfgang Dudda erhob, sei Mitte der Woche eine „Vor-Ort-Prüfung“ gefolgt. Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung, sagte ein Sprecher, hätten „trotz einiger Beanstandungen“ nicht vorgelegen. Kaija Kutter