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DaumenkinoZu schön, um wahr zu sein

Als Eva Hesse 1970 gerade 34-jährig starb, hinterließ sie ein bahnbrechendes bildhauerisches Werk. Ihre Experimente mit neuen Mate­ria­lien wie Latex, die haptische Qualität ihrer komplexen, oft fragilen Formen, ihr freier Umgang mit dem Seriellen wie die Inkaufnahme eines konservatorisch, nicht aufzuhaltenden Verfalls, eröffneten der Kunst neue Perspektiven. Längst ist ihr Werk in den wichtigsten Museen vertreten.

Dass die Frau, die große Unbekannte des Kunstbetriebs sei, wie Marcie Begleiter in ihrem Dokumentarfilm über Eva Hesse behauptet, ist keine besonders plausible These. Entstanden ist der Film anlässlich der großen Hesse-Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle 2013. Er dokumentiert viele von Hesses Arbeiten erstmals filmisch, darin liegt sein Gewinn. Ansonsten zeigt er Eva Hesse einfach zu schön und ihr Schicksal als zu tragisch, um ihr als Mensch wie als Künstlerin glaubhafte Konturen zu geben. Marcie Begleiter stellt Hesse auf einen Sockel, von dem sie niemand herunterholen kann, nicht mal ihr Exmann, der sie als schwierig bezeichnet.

Eva Hesse hatte allen Grund dazu, schwierig zu sein. 1936 in eine jüdische Hamburger Familie geboren, war ihre Kindheit von Flucht und Verlassenheit geprägt. Als Dreijährige landet sie in einem katholischen Heim in Rijswijk, nachdem sie mit ihrer Schwester aus Deutschland herauskommen war. Der Familie gelingt 1939 die Emigration nach New York, die ihr Gefüge freilich erschüttert. 1945 werden die Eltern geschieden. Die Mutter, mit dem tödlichen Schicksal ihrer in Europa verbliebenen Eltern konfrontiert, bringt sich 1946 um.

Diese Umstände bedacht, scheint es von teuflischer Ironie, dass Hesse ausgerechnet während eines Deutschlandaufenthaltes künstlerisch zu sich fand. Wenn die Kinder des Sammlerehepaars Scheidt erzählen wie Hesse und ihr Mann, der Bildhauer Tom Doyle, 1964 auf Einladung ihrer Eltern nach Kettwig kommen, ist Hesse als Person plötzlich präsent. Dann spricht auch Begleiter anschaulich von Hesses Ängsten vor Deutschland, von ihrer verzweifelten Arbeitswut, mehr und mehr aber aus Begeisterung, ihren Weg gefunden zu haben. Ihr Werk erregt dann schnell Aufsehen, und Hesse kann sich, als sie nur fünf Jahre später die Diagnose Gehirntumor erhält, sicher sein kann, dass sie ihren Weg in die Kunstgeschichte gemacht hat. Brigitte Werneburg

„Eva Hesse“. Regie: Marcie Begleiter. USA/D 2016, 105 Min.

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