: Testbilderalbum
Vom Bildschirm sind sie so gut wie verschwunden, im Internet werden sie gehegt und gepflegt: Der Wiener Herbert Kalser sammelt Testbilder
von RALF LEONHARD
Es ist bekannt, dass sich in den realsozialistischen Zeiten tausende Bewohner der grenznahem Regionen in Ungarn und der Tschechoslowakei regelmäßig österreichisches Fernsehen reingezogen haben. Umgekehrt gab es in Österreich nur wenige, die freiwillig die Ostsender einstellten. Zu diesen Ausnahmen gehörte jedoch der Wiener Herbert Kalser, der es als Kind faszinierend fand, wenn fremdländische Sender über den Bildschirm spukten.
Dabei fiel ihm auf, dass die Testbilder, die vor Sendebeginn erschienen, sich von den heimischen deutlich unterschieden. „Ich habe dann begonnen, diese zu fotografieren“, erklärt er. Das war der Beginn einer kuriosen Sammelleidenschaft. Herbert Kalser ist heute wohl der größte Sammler von Testbildern weltweit. Wer nach 1970 geboren ist, so Kalser, könne sich wohl gar nicht mehr erinnern, was ein Testbild überhaupt ist. Ein aus geometrischen Figuren zusammengesetztes Standbild aus der Frühzeit des Fernsehens, das am Bildschirm erschien, bevor das Programm begann, und das mit seinen Kreisen und Balken dazu diente, das Gerät scharf zu stellen. Das tat man durch Verschieben der Zimmerantenne.
Als das Kabelzeitalter begann, eröffnete sich für den Testbild-Fan Kalser ein Schlaraffenland an Kanälen, die alle noch ihre Testbilder hatten. Heute hat er annähernd 3.000 Exemplare auf CD-ROMs untergebracht. Auf seiner Homepage www.tv-testbild.com ist nur eine Auswahl zu sehen, die Website hat zu wenig Speicherplatz für alle Testbilder. Täglich klicken zwischen 300 und 500 Neugierige Kalsers Bilderalbum an.
Von den Anfängen vor einem halben Jahrhundert bis zu den neuesten Kreationen ist alles dabei, von schlichten vertikalen Farbbalken, wie sie im arabischen Raum bevorzugt werden, bis zu den futuristischen Satellitenschüsseln von Astra. Aus Deutschland melde sich inzwischen eine Nostalgiewelle, vor allem in Bezug auf Ost-Testbilder. Kalser hatte auch schon Anfragen nach T-Shirts mit dem eigenwilligen DDR-Bild.
Die Rundfunkanstalten selbst zeigten sich unterschiedlich kooperativ. Vom ORF bekam Herbert Kalser überhaupt keine Antwort, ARD und ZDF schickten ihre Bilder. Das schwedische Fernsehen hat ihm die Genehmigung gegeben, das Testbild mit einem Mädchenkopf auch zu verwenden. Ob diese Bilder dem Copyright unterliegen, ist ungeklärt. Bisher aber dürfte sich die Piraterie in Grenzen gehalten haben. Zumal das Testbild immer mehr zur aussterbenden Spezies wird, seit fast alle Sender rund um die Uhr Programm machen. Nur dort, wo noch nicht 24 Stunden gesendet wird, in Afrika und Asien etwa, sieht man es noch häufiger.
Herbert Kalser hat zu Hause eine Schüssel, über die er Programme von sieben Satelliten empfangen kann. Abends zappt er sich durch die Kanäle und jagt die Objekte seiner Begierde. Ein weißer Fleck auf seiner Weltkarte ist allerdings Amerika, vor allem die lateinamerikanischen Sender seien wegen anderer Frequenzen kaum zu bekommen. Vielleicht kann mal jemand ein Urlaubsfoto von dort schicken?
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