Freihandelsabkommen

Obama will in Hannover für TTIP werben. Zehntausende setzten dem ihren Protest auf einer Großdemo entgegen

Pfeifkonzert gegen TTIP – und die SPD

Demo Massiv wenden sich die TeilnehmerInnen in Hannover gegen die Handelsabkommen. Auch die Sozialdemokraten müssen in ihrer Hochburg Kritik für ihre Haltung zu den Geheimverträgen einstecken

Nicht mit uns, geben die TTIP- GegnerInnen zu verstehen Foto: Christian Charisius/dpa

aus Hannover Andreas Wyputta

Hannovers Opernplatz war schon eine halbe Stunde vor Demo-Beginn ein Fahnenmeer. Wer erst um halb zwölf ankam, hatte es schwer, überhaupt zur Bühne vorzudringen: Ein breites Bündnis hatte für Samstagmittag zum Protest gegen die Freihandelsabkommen TTIP, Ceta und TiSA aufgerufen – gekommen waren Gewerkschafter, Globalisierungskritiker, Umweltschützer, dazu Anhänger von Grünen, Linken, Piraten und DKP.

Demonstrieren wollten sie gegen eine wirtschaftsfreundliche, an Konzerninteressen orientierte Angleichung von Umwelt- und Sozialstandards zwischen Europa und Nordamerika. „Stoppt TTIP, stoppt Ceta“ war auf Fahnen von Globalisierungskritikern von Attac und Campact zu lesen. „Keine Gentechnik, kein Hormonfleisch“ stand auf anderen – und: „Stoppt die Freihandelslüge“.

Auslöser des Protests war eine Stippvisite von US-Präsident Barack Obama, der am Sonntag zu seinem letzten Deutschlandbesuch als Staatsoberhaupt in der niedersächsischen Landeshauptstadt eintraf. Zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird er mit der „Hannover Messe“ die größte Industrie-Leistungsschau der Welt eröffnen, deren Partnerland in diesem Jahr die USA sind. Präsident und Kanzlerin werden dabei kräftig Werbung machen für TTIP, das Abkommen zwischen den USA und der EU.

Teil des Obama-Trosses ist nicht nur die US-Handelsministerin Penny Sue Pritzker, sondern auch die US-Ressortchefs für Verkehr, Anthony Foxx, und Energie, Ernest Moniz. Merkel wiederum hat den SPD-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Schlepptau. Auch der Sozialdemokrat will in diesen Tagen kräftig für das „Freihandelsabkommen“ werben: „TTIP – große Chancen für kleine Unternehmen“ lautet der Titel einer Diskussion mit Gabriel und der US-Ministerin Pritzker am Montag.

SPD-Chef Gabriel hatte die Demons­trantInnen einst als „reich und hysterisch“ beschimpft

Auf der Demo-Bühne des schon eine Stunde vor Beginn prall gefüllten Hannoveraner Opernplatzes kritisierten RednerInnen dagegen TTIP als Kotau der Politik vor kapitalstarken multinationalen Konzernen. Profitinteressen drohten demokratische Grundrechte auszuhebeln, warnte Hanni Gramann von Attac mit Blick auf die geplanten Sondergerichte für Konzerne, vor denen Gesetze als „Handelshemmnisse“ beklagt werden könnten.

Gewerkschafter wie der niedersächsische Verdi-Landesbezirksleiter Detlef Ahting hatten schon im Vorfeld betont, dass die USA von den Normen der UN-Arbeitsorganisation ILO nur die gegen Kinder- und Zwangsarbeit ratifiziert haben – die zur „Koalitionsfreiheit“, also dem Recht, Gewerkschaften zu gründen, dagegen nicht. Der Vorsitzende des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND), Hubert Weiger, rief deshalb, es sei „pervers“, wie Obama und Merkel Umwelt- und Sozialstandards opfern wollten, für die sie auf dem UN-Nachhaltigkeitsgipfel im Herbst in New York selbst eingetreten seien. Zehntausende DemonstrantInnen begleiteten das mit Applaus.

Darunter waren auch Anhänger der SPD – unmittelbar vor der Bühne wehten Fahnen der Partei, als deren Hochburg Hannover gilt. Trotzdem mussten die Sozialdemokraten heftige Kritik einstecken. Gerade SPD-Chef Gabriel nehmen viele DemonstrantInnen noch immer übel, dass er sie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos als „reich und hysterisch“ beschimpft hatte. „Herr Gabriel: Wir machen hier, was eigentlich Ihr Job wäre: Demokratie und Rechtsstaat verteidigen“, rief Cristoph Bautz vom Vorstand der Bewegungsplattform Campact.

Der Protest gegen die Freihandelsabkommen mobilisiert Massen. Die Veranstalter sprechen von 90.000, die Polizei von 35.000 TeilnehmerInnen Foto: Nigel Treblin/reuters

Beim „Parteientalk“ mit der Grünen-Vorsitzende Simone Peter und dem Vize-Chef der Linkspartei, Tobias Pflüger, wurde auch der TTIP-kritische Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, ausgebuht: Der Sozialdemokrat hatte geschildert, dass seine Partei noch um eine Linie zu den Freihandelsabkommen ringe – und dann um „Vertrauen“ gebeten. Die Reaktion war ein gellendes Pfeifkonzert, das die Glaubwürdigkeitskrise deutlich machte, in der die SPD aktuell steckt.

Die Spitze des Demonstrationszuges, der ab 13 Uhr um den gesamten Innenstadtring Hannovers zog, bildeten Landwirte mit Dutzenden Traktoren. TTIP diene allein „den Interessen großer Agrarkonzerne“, erklärte Annemarie Volling von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft dazu. „Auf dem Weltmarkt können wir nicht konkurrieren, wenn wir Qualität anbieten wollen.“ Schon jetzt sorge die Überproduktion in den USA und der EU für katastrophal niedrige Preise, die allein im vergangenen Jahr deutschlandweit etwa 3.500 Milchbauern ihre Existenz gekostet hätten.

Insgesamt konnten die Veranstalter nach eigenen Angaben rund 90.000 Menschen zu der Demonstration mobilisieren, die völlig gewaltfrei blieb. Die Polizei sprach von 35.000 Teilnehmern. „Die Beamten haben nur geschätzt“, sagt Demo-Sprecher Christian Weßling dazu. „Wir hatten ein Team an der Strecke, das die Leute gezählt hat.“