DIE SLAMMERIN Zoe Hagens Texte haben großen Erfolg auf Poetry Slams. Jetzt ist der erste Roman der 22-Jährigen bei einem großen Verlag erschienen: „Tage mit Leuchtkäfern“ handelt von existenziellen Fragen, von Freundschaft, Essstörungen und Suizid: „Beim ersten Text waren alle schockiert, was ich für Begriffe in den Mund nehmen kann“
Interview Jacinta Nandi undClaudius PrößerFotos Dagmar Morath
Jacinta Nandi: Zoe, wir duzen uns, wir standen ja schon beim Poetry Slam zusammen auf der Bühne. Was macht für dich einen Slam-Text aus?
Zoe Hagen: Für mich ist das einfach jeder Text, der in das vorgegebene Zeitlimit passt bzw. dafür geschrieben worden ist.
JN: Ist er nicht lustiger als andere Texte?
Nicht unbedingt. Klar, manchmal feile ich viel an Pointen rum, aber ich habe auch ernste Texte und versuche, nicht auf Publikum zu schreiben – auch wenn das schwierig ist.
Claudius Prößer: Ich gestehe, ich war noch bei keinem Slam. Also habe ich mir deine Auftritte auf YouTube angesehen. Einmal wird dir einfach das Mikro weggezogen. Ist das üblich?
Auf Meisterschaften ja, da ist die Zeit streng begrenzt. Mir war es vorher nie passiert, und es war auch meine eigene Schuld. Wenn man das Publikum zu lange lachen lässt, kostet das wahnsinnig viel Zeit. Manche Moderatoren sind nicht so streng und fragen das Publikum, ob es den Text zu Ende hören will. Aber nur auf den regulären Slams.
JN: In Berlin ist es am härtesten, da haben wir auch weniger Zeit als anderswo.
CP: Wird man bei Zeitüberschreitung disqualifiziert?
Nein, ein abgebrochener Text reicht manchmal sogar für einen Sieg. Aber meistens eher nicht.
JN: Es gibt nicht viele Women of Colour unter den Slammern?
Es gibt überhaupt nicht viele Women unter den Slammern.
CP: Würdest du dich als Woman of Colour (WoC) bezeichnen?
Also ich würde mich einfach als schwarz bezeichnen. Aber wenn mich jemand PoC, also Person of Colour nennt, ist das okay. WoC ist mir jetzt nicht so geläufig.
JN:Aber „Double-u-o-cee“ klingt doch cooler!
Ich finde, das P bei „Pee-o-cee“ knallt besser. Ich finde das Wort auch sinnvoll, es gibt ja nicht nur Rassismus gegen Schwarze. Aber was die wenigen Slammerinnen angeht, da gibt es viele Gründe. Erstens fangen die meisten sehr jung an, und wenn du in eine Umgebung kommst, wo fast nur Männer sind, wenn du auf Tour die einzige Frau bist, ist das nicht ganz leicht. Zweitens fangen die meisten Frauen mit Lyrik an. Dummerweise steht das Publikum eher selten auf Lyrik. Drittens kommt irgendwann für viele das Studium, und sie können das nicht so vereinbaren, wie sie dachten.
JN: Frauen müssen abends auf ihre Kinder aufpassen, Männer lassen sie bei ihren Frauen.
Ich sage jetzt nicht: „Schluss mit Lyrik“, aber wenn mehr Frauen sich trauen würden, Standup zu machen und auch mal derbere Wörter zu benutzen, würden sie häufiger einen Slam gewinnen. Dann würden mehr teilnehmen, weil sie sehen, dass es als Frau möglich ist, zu gewinnen. Bei meinem ersten Text waren alle schockiert, was ich für Begriffe in den Mund nehmen kann, wenn ich will. Das hätten mir viele gar nicht zugetraut. Bei Männern ist das eine Selbstverständlichkeit.
CP: Kommt es nicht gerade gut an, wenn Frauen das tun?
Wenn sie sich trauen, schon.
JN: Die Menschen wollen Frauen nicht lustig finden. Frauen, die lustig sein wollen, beleidigen das Publikum ein bisschen.
Der Mensch: Zoe Hagen wird 1994 in Berlin geboren. Sie wächst bis zum 9. Lebensjahr in Schöneberg auf, dann zieht die Familie nach Charlottenburg. Dort lebt sie heute in einer WG.
Die Slammerin: Mit dem Schreiben fängt Zoe Hagen schon als Kind an. Mit 18 nimmt sie zum ersten Mal an einem Poetry Slam teil. Bei diesen „Dichter-Wettkämpfen“ geht es darum, die Gunst des Publikums mit kurzen, sprachlich verdichteten Texten zu gewinnen. Heute steht Hagen bis zu 10 Mal im Monat auf einer Slam-Bühne. Im Jahr 2014 wurde sie deutsche Vizemeisterin der U20 Poetry Slammer.
Die Autorin: Im März erschien Zoe Hagens erster Roman „Tage mit Leuchtkäfern“ bei Ullstein. Er erzählt in Tagebuchform die Erlebnisse einer Jugendlichen, die an Bulimie leidet und Anschluss an eine Gruppe Älterer findet, die sich als „Club der verhinderten Selbstmörder“ bezeichnet. (clp)
Es gibt schon viele Frauen, die über Frauen lachen wollen. Aber ja, es ist schwieriger, ein weibliches Publikum von sich zu überzeugen.
JN: Aber deine Texte kommen gut an.
Ich glaube, ich habe eine ganz gute Mischung gefunden aus lustig und anrührend.
JN: Was ist nachteiliger beim Slam, weiblich zu sein oder schwarz?
Ach, man kann doch letztlich alle vermeintlichen Nachteile zu Vorteilen machen. Das macht einen ja auch unverwechselbar, egal ob schwarze Frau oder deutscher Türke oder blonder Vorstadtbubi. Man macht sich über die Klischees, die man mit sich herumträgt, auf eine hoffentlich intelligente Art lustig.
JN: Beim Slam, wo wir uns kennengelernt haben, hast du zwei Texte gelesen: Der erste war witzig und der zweite eher politisch. Willst du das Publikum erst mal locken und dann eine Botschaft hinterherliefern?
Der erste Text waren die Ratschläge an meinen Bruder anlässlich seiner Volljährigkeit …
CP: … der damit anfängt, dass du ihn erwischt hast, als er mit zwölf vor dem Computer masturbierte.
Genau. Den fand ich im Nachhinein so oberflächlich, dass ich ihn mehrmals überarbeitet habe, bis er eine Tiefe erreicht hatte, die meinen Ansprüchen genügte. Der andere Text, „Panda“, ist eigentlich auch nicht politisch, sondern einfach eine Beschreibung des Rassismus, dem ich ausgesetzt bin. Okay, letztlich ist das auch politisch.
JN: Haben Leute auf diesen Text beleidigt reagiert?
Nein. Er kommt immer gut an, weil er am Anfang lustig ist und weil ich sehr harten Rassismus schildere. Da überwiegt wohl der Mitleidfaktor. Was mich nervt, ist, dass viele denken, ich übertreibe. Natürlich denke ich mir insgesamt so einiges aus, aber doch nicht den Rassismus.
JN: Manchmal denke ich, es beruhigt die Leute, wenn man ihnen Geschichten von krassem Rassismus erzählt. Das entlastet sie – so was tun sie ja nicht.
CP: In dem Text erzählst du, wie du als Kind wegen deiner Haut gemobbt wurdest, wie andere dich mit Wasser begossen, um dich „sauberzuwaschen“. Naiverweise habe ich beim Hören gedacht: Sind wir echt noch nicht weiter?
Die Formen sind sicher auch davon abhängig, wo du aufwächst. In einem Bezirk wie Charlottenburg ist der Rassismus eher unterschwellig, trotzdem gibt es da auch Beschimpfungen. Als Frau bin ich ja privilegierter; es ist weitaus härter, ein schwarzer Mann zu sein. Ich werde übersexualisiert oder kriege blöde Kommentare, aber gewalttätig wird es eigentlich nie. Kein Vergleich mit der Gewalt, die schwarzen Männern mitunter widerfährt. Da kann ich mich wohl glücklich schätzen.
CP: Aber dieses nervige Kompliment „Sie sprechen gut Deutsch“ ist ein Klischee, oder?
Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich das zu hören kriege.
JN: In Großbritannien würde das niemand sagen, behaupte ich. Vielleicht, weil ich nur London kenne.
Wir haben Verwandte in Großbritannien und Kanada, die bestätigen das. Da ist man in der Wahrnehmung einfach weiter.
CP: In einem deiner Texte heißt es: „Ich darf über Behinderte lachen, ich bin ja schwarz.“ Das ist ironisch, aber du machst schon öfters mal einen Witz auf Kosten von Gruppen, die auch diskriminiert werden.
Ich finde, man muss das differenzieren. Ich denke nicht, dass es mir zusteht, Witze über Lesben zu machen, so wie ich Witze über Schwarze mache. Wenn mir eine Lesbe oder eine behinderte Person sagte: „Das hat mich verletzt“, würde ich das sehr ernst nehmen.
CP: Ist nicht auch eine Gefahr, dass die Leute aus den falschen Gründen lachen?
Das Risiko gibt es bei jedem Text. Theoretisch könnten Leute wirklich applaudieren, weil ich rassistisch beleidigt worden bin, nicht weil ich so schön ironisch darüber schreibe. Das kann ich nicht verhindern. Aber es gibt doch auch genug Leute, die davon geweckt werden, die etwas anfangen zu hinterfragen.
JN: Lass uns über deinen Roman reden. Bulimie ist darin ein wichtiges Thema. Prinzessin Diana hat gesagt, Bulimie ist ein Tabu, weil es mit Erbrechen zu tun hat, das finden die Leute eklig.
Ich denke, dass von den Essstörungen die Magersucht gesellschaftlich am stärksten akzeptiert ist. Magersüchtige sind Opfer, denen man mit Mitleid begegnet. Fresssüchtige bekommen nicht dieselbe Achtung, und Bulimiker erkennt man äußerlich nicht, das macht die Krankheit ja so tückisch. Ob sie so ein Tabu ist, weiß ich gar nicht. Im Übrigen bedeutet Bulimie nicht unbedingt Erbrechen, es geht einfach darum, das Essen wieder loszuwerden. Das kann auch durch Abführmittel geschehen, durch exzessiven Sport oder Hungerphasen.
CP: An einer Stelle im Buch ist die Protagonistin von den gängigen Erklärungen genervt: Magersucht ist, wenn man nichts mehr isst, Bulimie, wenn man dauernd kotzt. Warum trifft das nicht den Punkt?
Rein optisch betrachtet, würde das schon hinhauen. Aber die ganze Gedankenwelt dahinter wird nicht beleuchtet: Warum esse ich nicht, warum kann oder darf ich nicht essen, warum bin ich es nicht wert, zu essen? Diese Beweggründe werden oft gar nicht beachtet, und wenn, beschränkt man sich oft auf den Einfluss von Schönheitsidealen. Aber das ist Blödsinn. Ja, Magersüchtige haben oft eine verzerrte Körperwahrnehmung, aber niemandem mit einer schweren Essstörung geht es darum, gut auszusehen.
CP: An einer anderen Stelle heißt es, hinter Magersucht stehe eigentlich der Wunsch zu sterben. Wie ist das bei einer Bulimie?
Bei mir war es ein ständiger Kampf zwischen Aufgeben und Lebenwollen, zwischen dem Wunsch abzunehmen und dem, nicht so strikt mit sich zu sein. Da sagen dann manche Therapeuten: Das ist die fehlende Mutterliebe, die das auslöst.
JN: Ist die Mutter im Buch eine negative Figur?
Wir sehen sie durch die Brille einer 15-jährigen Essgestörten, und das verändert nicht nur ihr Verhalten, sondern auch ihre Wahrnehmung. Wenn die Mutter ihr morgens Pfannkuchen macht, findet die Tochter das natürlich scheiße, aber die Motivation der Mutter ist vielleicht eine ganz andere, als sie denkt. Überhaupt halten ja viele in diesem Alter die eigenen Eltern für die schlimmsten Leute der Welt.
JN: In Großbritannien hieß es früher, Magersucht und Bulimie seien weiße Mittelschichtskrankheiten. Als Teenager hat mich das gefreut. Beim Lesen dachte ich, vielleicht ist deswegen offen, ob die Protagonistin schwarz oder weiß ist.
Es ist wohl wirklich vor allem ein westliches Problem, in vielen Gesellschaften stehen einfach andere Probleme im Vordergrund. Dass es keine schwarzen Essgestörten gibt, glaube ich aber nicht. Ich denke, Essstörungen sind in schwarzen Gesellschaften ein stärkeres Tabu. Ob die Protagonistin schwarz oder weiß ist, bleibt tatsächlich offen, obwohl ich mir das nie bewusst vorgenommen hatte. Durch die Tagebuchform des Romans stellte sich die Frage nicht. Mir gefällt diese Ungewissheit ganz gut: Man weiß auch die meiste Zeit nicht, wie die Protagonistin heißt und wie alt sie ist.
JN: Wie autobiografisch ist dein Roman?
Die Geschichte gar nicht. Aber die Gefühle der Protagonistin, ihre Gedankenwelt, die Essstörung sind es.
CP: Du hast das Buch mit 17 geschrieben. Wenn jemand meint, in dem Alter schreibe man keine Romane, was sagst du dem?
Das kann man ja nun über viele Dinge sagen. Bin ich mit 17 alt genug, um zu sagen, ich bin verliebt? Ist das die Liebe, was ich da empfinde? Vielleicht habe ich darauf später mal einen anderen Blick, aber in dem Moment, in dem wir die Dinge erleben und tun, sind sie etwas ganz Wichtiges.
JN: Du hast das Buch in wenigen Wochen geschrieben.
Das stimmt, das ist kein Marketinggag. Ich habe einfach losgeschrieben. Es gab keinen Plot, was passiert, hat sich erst beim Schreiben ergeben. Das Ganze hatte etwas Therapeutisches für mich.
CP: Und dann lag das Manuskript drei Jahre in der Schublade?
Ich habe es relativ bald rausgeschickt und eine Absage bekommen. Dann habe ich es liegen gelassen und irgendwann eine Drehbuchfassung angefangen, bis jemand meinte: „Mach doch erst mal einen Roman draus!“ Und na ja, den Roman hatte ich ja schon. (lacht)
CP: Mit dem warst du vor Kurzem auf der Leipziger Buchmesse. Wie war das?
Aufregend. Ich bin zwar bei den Lesungen mit anderen zusammen aufgetreten, aber eine halbe Stunde gehörte nur mir. Es war sehr schön, dass die Leute einem wirklich zugehört haben und das Ganze außerhalb jeglichen Bewertungsraums stattgefunden hat. Mit neun habe ich an meinem ersten Schreibwettbewerb teilgenommen und immer gesagt: Eines Tages veröffentliche ich ein Buch. Als ich in Leipzig abends im Bett lag, dachte ich nur: Wie krass, du bist auf der Buchmesse, mit einem Autorenticket, irre!
JN: Ist „Tage mit Leuchtkäfern“ ein Teenieroman?
Nein. Es ist ein Roman ab 14, und 14-jährige Mädchen können sich mit manchem wohl besser identifizieren. Aber alle erwachsenen Leser waren ja auch mal in der Pubertät. Ich glaube, es geht über einen Teenieroman hinaus, weil es um weitaus mehr als die Ebene der Essstörung geht. Um die großen Gefühle und Fragen und Ängste und Wünsche, die wohl jeder hat. Ich kenne genügend Erwachsene, die das Buch gelesen haben und sich zurückversetzt gefühlt haben in eine Gedankenwelt, die sie vermeintlich längst abgeschlossen hatten, und sich jetzt zurückerinnern, mal lächelnd, mal weinend.
JN: Findest du „Teenieroman“ abwertend? Ist „Tschick“ das nicht auch?
Ich bin jetzt nicht so arrogant, mein Buch mit „Tschick“ zu vergleichen, aber natürlich ist die Zielgruppe ähnlich. „Tschick“ wurde anfangs auch als Jugendroman verkauft, bis der Verlag gemerkt hat, dass es viel mehr als das ist.
CP: Welche Pläne hast du für die Zukunft?
Ich will gern schreiben, Drehbücher, Romane, alles. Im Moment studiere ich Afrikanistik und Deutsche Literatur, aber da sehe ich eher nicht meine Zukunft. Da muss ich mich ständig mit Werken anderer beschäftigen. Als Inspirationsquelle ist das okay, aber mir fehlt die Praxis. Vielleicht bewerbe ich mich bei einer Drehbuch-Akademie.
CP: Könntest du dir vorstellen, dass dein Buch jetzt verfilmt wird?
Ich persönlich glaube, es wäre ein guter Film. Andererseits hätte ich eine sehr genaue Vorstellung davon, wie er aussehen müsste. Da würde ich dann am liebsten auch noch Regie führen und mitspielen und die Musik machen. Also erst mal eine Pause ist auch gut. (lacht)
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