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Titos Mumie im Kühlschrank

Animation Mit ihrem Film „Tito on Ice“, der jetzt in die Berliner Kinos kommt, testen der schwedische Comiczeichner Max Andersson und sein Kollege Lars Sjunnesson die Grenzen menschlicher Vorstellungskraft

Reisebericht mit einem Zug aus Abfall und Pappe: „Tito on Ice“ Foto: Max Andersson

von Doris Akrap

Bei „Animationsfilm“ denkt man heute an Minions, Pixar, USA, aber nicht an Jugoslawien und Professor Balthazar. Dabei zählte die immer noch existierende Zagreber Schule für Animationsfilm seit den 60er Jahren zu den besten ihrer Art. Zu verdanken hatte sie das dem legendären Staatsgründer Jugo­slawiens, Marschall Tito. Der war großer Filmnarr, hatte sich zu Hause sogar ein kleines Heimkino zum nächtlichen Filmgucken eingerichtet und förderte die Filmkunst auch da, wo sie nicht nur Partisanenkult produzierte.

Nun ist Tito tot, und die jugoslawischen Filmstudios rotten vor sich hin. Das seit 1972 jährlich stattfindende Animafest Zagreb aber gibt es immer noch. Es ist neben dem Annecy Festival in Frankreich das weltweit älteste für animierte Filme. 2013 wählten beide Festivals den Film „Tito on Ice“ in ihr Programm. Jetzt ist er endlich auch in Berliner Kinos zu sehen.

Surreale Untergrundwelt

Der Film ist das Debüt des in Berlin lebenden schwedischen Comiczeichners Max Andersson und eine Art Sequel zu seinem mit Lars Sjunnesson 2003 publizierten Comic „Bosnian Flat Dog“. Der Ausgangspunkt des Comics ist ein Besuch der beiden Zeichner bei einem slowenischen Comicfestival 1999. Ein paar hundert Kilometer weiter bombardierte damals die Nato Belgrad und konfrontierte die beiden Zeichner mit den Folgen der jugoslawischen Zerfallskriege.

Ihre Eindrücke verarbeiteten sie zu einer surrealen Untergrundwelt, in der die Mumie Titos in alten Kühlschränken aufbewahrt wird, die Witwen von Srebrenica eine männerraubende Bande sind und terroristische Eistanten in unterirdischen Tunneln Eisbomben bauen. Gemischt mit fotografischen und gezeichneten Dokumentationen des echten Kriegsirrsinns, wird die paranoide Geschichte in schroffen, tiefschwarzen Bildern erzählt, in denen es kaum weiße Flecken gibt.

Im Jahr 2003 gehen die beiden Zeichner dann auf Tour durch das ehemalige Jugoslawien, um ihr Buch zu promoten. Für diese Rundreise modellieren sie aus Styropor und Pappmaschee die Mumie von Marschall Tito, der sie auf ihrem Trip begleitet und in den Kühlschränken ihrer Gastgeber die Nächte verbringt.

Diese Reise wiederum ist nun Gegenstand von „Tito on Ice“, eine Mischung aus Reisedoku und Animationsfilm, aus wackligen und bunten Digitalkameraaufnahmen von ihrer Reise und grobkörnigen, schwarz-weißen Super-8-Videos, in denen sie die aus Pappe und Abfall gebastelten Menschen, Autos, Züge, Häuser, Handys und andere Dinge, denen sie auf ihrer Reise begegneten, animieren. So wie die echten Zeichner auf ihrer Reise allerlei Grenzen zwischen Ljubljana, Zagreb, Belgrad und Sarajevo passieren müssen, übertreten sie auch in ihrem Film alle Grenzen der Genres Film, Comic, Animation.

Sie übertreten in ihrem Film alle Grenzen der Genres Film, Comic, Animation

Und diese Form ist der Inhalt: die Grenzen menschlicher Vorstellungskraft. Bringt die Realität groteskere Zustände hervor, als es irgendeinem Albtraum je möglich wäre? Gleich zu Beginn sehen wir eine alte Fernsehaufzeichnung von zwei nordkorea­nischen Zwergen mit Akkordeon und pinkfarbenem Tutu, die ein antifaschistisches Partisanenkinderlied in holprigem Serbokroatisch singen. Man fragt sich lange, ob das David Lynch oder echt ist, und kann die Frage hier so wenig beantworten wie bei den schwarzgebrannten CDs, die in den Holzverschlägen auf den staubigen Straßen Bosniens verkauft werden.

Genauso wenig, wie die Entscheidung „Krieg oder Frieden“ eindeutig zu treffen ist angesichts riesiger Granaten und Patronenhülsen, die auf dem Basar in Sarajevo verkauft werden und in die Blumen, Ornamente, Moscheen und Kathedralen graviert wurden. Unglaublich ist auch, was die Reisegruppe an den Wänden eines völlig zerschossenen Wohngebäudes in Bosnien entdeckt: beeindruckend detaillierte Zeichnungen eines Scharfschützen, der offenbar ebenso gut zielen wie zeichnen konnte.

Sein Stil ist von dem bewusst ungelenken Stil zeitgenössischer Comiczeichner kaum zu unterscheiden. Er erzeugt eine Intensität, die kaum jemand, der vom Krieg erzählt, so eindringlich hinbekommt. Zwei von ihnen, Aleksandar Zograf und Igor Hofbauer, die heute zu den bekanntesten Künstlern der ex-jugoslawischen Independent-Szene gehören, erzählen, dass in Jugoslawien jeder Comics gelesen hat. Und das stimmt. Noch heute ist an jedem Kiosk die Auswahl an Comics größer als die an Zeitungen. Realität und Fiktion des jugoslawischen Sozialismus waren so eng miteinander verwoben, dass sich die politische Inszenierung kaum von einem Comic oder einem Kinofilm unterscheiden ließ.

Der Film wirft aber auch die Frage auf, ob die eigene Realität ähnlich zombiehafte Figuren beinhaltet wie die durch den Krieg entstellte Landschaft des Balkans. An apokalyptische Topografien erinnert das, was der Zagreber Igor Hofbauer den beiden Schweden erzählt: Er habe in ihrem Land eine verlassene Fabrik besichtigt, in denen Maschinen stehen, die so aussehen, als hätte Hitler ein Ufo gebaut. Womöglich ist ja gerade hier in einem der unterirdischen Tunnel die Mumie von Hitler in einem Kühlschrank verstaut?

„Tito on Ice“. Regie: Max Andersson, Lars Sjunnesson. Deutschland/Schweden 2012, 76 Min. Zu sehen 23. April, Kino Lichtblick; 24. April, Kino Moviemento; 25. April, Kino Krokodil

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