: „Ich hatte nicht das Geld für mehr Miete“
Kunst Jahrelang kämpfte Ina Wudkte um ihre Mietwohnung in der Schwedter Straße. Jetzt stellt sie ihre Blessuren zur Schau
Interview Peter NowakFotos Wolfgang Borrs
taz: Frau Wudtke, in Ihrer aktuellen Ausstellung setzen Sie sich mit Ihrer eigenen Verdrängung aus Ihrer Wohnung auseinander. War es denn gar kein Problem für Sie, sich selbst zum Gegenstand Ihrer Arbeit zu machen?
Ina Wudtke:Meine künstlerische Arbeit ist oft autobiografisch geprägt. Zudem musste ich in den Kampf um meine Wohnung so viel Zeit und Energie stecken, dass ich daneben wenig Zeit für etwas anderes hatte. So habe ich den Mietkampf und meine künstlerische Arbeit verbunden.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht das Video „Der 360.000-Euro-Blick“, in dem Sie in 45 Minuten die Geschichte Ihrer Vertreibung erzählen. Zu sehen ist ein Ausblick auf den Fernsehturm. Was sollen der Titel und die Einstellung ausdrücken?
Das Videobild zeigt den Blick aus dem Fenster meiner ehemaligen Wohnung in der Schwedter Straße in Mitte auf den Fernsehturm. Im Zeitraffer wird es einmal Tag und einmal Nacht. Ich kombinierte den Blick auf Berlins Wahrzeichen mit einer Icherzählung, in der Beobachtungen zu ökonomischen Strukturen und individuellen Lebensbedingungen, künstlerischer Produktion sowie zeitgenössischer Politik und Stadtplanung ineinanderfließen.
Nämlich welche?
Bei Eigenbedarfskündigungen, Modernisierungsankündigungen und anderen Problemen mit den VermieterInnen berät die Berliner MieterGemeinschaft e. V. Beratungsstellen finden sich auf der Homepage: www.bmgev.de/beratung/beratungsstellen.html
Das Berliner Bündnis gegen Zwangsräumung unterstützt MieterInnen, die juristisch zur Räumung ihrer Wohnungen verurteilt wurden. Infos unter: www.berlin.zwangsraeumungverhindern.org/
Veranstaltungshinweis: In der Dachetage des Friedrichshain-Kreuzberg Museums in der Adalbertstraße 95a findet am 11. 4. um 19 Uhr eine Gedenkveranstaltung für die zwangsgeräumte Rentnerin Rosemarie F. zu deren drittem Todestag statt. Weitere Infos: www.fhxb-museum.de/index.php?id=19 (now)
Als ich 1998 dort eingezogen bin, gab es kaum sanierte Häuser in der Straße. 15 Jahre später wurde meine Wohnung mit dem darüberliegenden Dachboden verbunden. Wohnungen dieser Art wurden 2013 für 360.000 Euro zum Verkauf angeboten. Ich verbinde die Geschichte meines Mietkampfs mit der Geschichte der Stadtplanung nach der Wende, die mit der Politik der Privatisierungen die Vertreibung von Menschen mit wenig Einkommen bewirkte, und stelle meine persönliche Geschichte so in einen gesellschaftlichen Kontext.
Sie berichten dort auch, wie Bauarbeiter in Ihren Keller einbrachen und Sie bestohlen, was trotz Anzeige ohne strafrechtliche Folgen blieb. Hinterließ das bei Ihnen ein Gefühl von Ohnmacht?
Mir waren solche Entmietungspraktiken natürlich schon bekannt. Trotzdem war ich wütend, dass man mich so offensichtlich bestehlen konnte und ich trotz eines guten Polizeiprotokolls den Prozess nicht gewinnen konnte. Zudem hatte ich in dieser Zeit besonders wenig Geld, weil in der Kunst auch für die Beteiligung an großen Ausstellungen keine Honorare gezahlt wurden. Da traf mich der Verlust der Kohlen und meines Fahrrads, die aus dem Keller verschwanden, auch finanziell hart.
Gab es eine Solidarität unter den Mietern im Haus?
Dem Eigentümer gelang es, die Mieterinnen zu spalten und mit jeder Mietpartei andere Vereinbarungen zu treffen. Dies führte dazu, dass einige aufhörten, sich zu grüßen. Sie hatten Angst, ihre Wohnung zu verlieren, wenn sie nicht mit dem Eigentümer kooperierten.
In der Installation „Entmietung“ haben Sie einen Teil der Prozessakten Ihres siebenjährigen Kampfs um Ihre Wohnung zu einer langen Papierschlange verarbeitet. Was hat Sie motiviert, so lange um die Wohnung zu kämpfen?
Als Künstlerin mit geringem Einkommen konnte ich mir keine teurere Wohnung leisten. Ich hatte nicht das Geld, mehr Miete zu bezahlen. Deshalb wollte ich dort gern wohnen bleiben. Ohne Badezimmer und mit Ofenheizung kann man aber keine Modernisierungsklage gewinnen, weil alle Wohnungen per Gesetz auf einen sogenannten Mittelklassestandard angehoben werden.
Warum haben Sie die Wohnung 2013 schließlich doch noch verlassen?
Die Modernisierung meiner Wohnung war gerichtlich angeordnet worden. Nach Abschluss der Bauarbeiten wäre die Miete um mehr als das Doppelte angestiegen. Zusammen mit den monatlich anfallenden Kosten für die Zentralheizung kam ich auf eine zirka 300-prozentige Mieterhöhung, die alle zwei Jahre um 15 Prozent hätte angehoben werden können. Das konnte ich mir nicht leisten. Daher musste ich die Wohnung mit großem Bedauern räumen. Modernisierungsklagen sind ebenso wie Eigenbedarfskündigungen dazu geeignet, Einkommensschwache gegen Einkommensstarke auszutauschen.
Wie viele Berlinerinnen und Berliner sind betroffen?
Jahrgang 1968, studierte Kunst an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Von 1992 bis 2004 war sie Herausgeberin des feministischen KünstlerInnenmagazins Neid.
Ihre aktuelle Ausstellung „Eviction“ ist bis zum 16. April im Projektraum Bethanien, Mariannenplatz 2, täglich von 12 bis 19 Uhr geöffnet.
Momentan werden Tausende damit aus ihren Wohnungen vertrieben. Dabei muss man sich doch wundern, dass es erlaubt ist, während der Laufzeit eines Vertrags von Vermieterseite den Standard einer Wohnung gegen den Willen der Mieterin zu erhöhen und sie dafür zahlen zu lassen. Am Beispiel eines Leihautos wäre das undenkbar. Da kann der Autoverleih nicht während des Mietvertrags einen Wohnwagen an den Pkw anhängen lassen und verlangen, dass der nun auch noch vom Kunden bezahlt wird, der den Pkw gemietet hat. Bei Wohnungen soll das aber normal sein.
Ihre Ausstellung heißt schlicht „Eviction“. Warum?
Eviction ist der englische Begriff für den unfreiwilligen Verlust der Wohnung. „Evictions: Art and Spatial Politics“ ist auch der Titel eines Buchs von 1996 der US-Amerikanerin Rosalyn Deutsche. Dort hat sie den Prozess, der sich gerade in Berlin abspielt, in den 90er Jahren in New York beobachtet und beschrieben.
Künstler werden oft als Verursacher und Nutznießer von Gentrifizierung wahrgenommen. Wollten Sie mit Ihrer Ausstellung einen Blickwechsel einleiten?
Der Stadtsoziologe Andrej Holm hat dazu einmal sehr richtig geäußert, dass der Grund für Gentrifizierung keinesfalls die Künstlerinnen sind. Der wahre Grund ist, dass mobiles Kapital in Immobilien investiert wird aus Angst, dass das Geld in einer Finanzkrise wertlos werden würde.
Gibt es denn für prekär arbeitende Künstlerinnen und Künstler in Berlin keine Lobby?
Als Teil der politischen Künstlerplattform namens Haben und Brauchen habe ich mich dazu bereits mehrfach öffentlich geäußert. Der Mitbegründer von Haben und Brauchen, Florian Wüst, hat in seinem Filmvortrag im Rahmen meiner Ausstellung „Das Geschäft mit dem Wohnen“ dargestellt, wie die derzeitigen Modelle des sozialen Wohnungsbaus Instrumente der Förderung der einkommensstarken und keinesfalls zur Förderung einkommensschwacher Menschen geeignet sind. Im Gegenteil, es ist eine Umverteilung von unten nach oben. Auch darauf will ich mit der Ausstellung aufmerksam machen.
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