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: Zerstören, um überhaupt etwas zu spüren

„French Hitman – Die Abrechnung“ (F 2015; R: Fred Grivois)↓

Eins kann Vincent (Reda Kateb) richtig gut: schießen. Er kratzt meist die 10, im Verein ist er ein Star, später wird er sogar bei der Europameisterschaft reüssieren. Eher nicht mehr so der Star ist er für seine Frau Delphine (Ludivine Sagnier). Sie bauen ein Haus, groß ist es nicht, aber nicht mal dafür reicht Vincents karges Gehalt. Die Bauarbeiter treten in Streik, das Haus bleibt, wie Vincents Leben, eine Ruine. In dieses Leben, zu ihm, seiner Frau und der kleinen Tochter, zieht dann auch noch sein Vater (Tchéky Karyo), der dement ist, bösartig, außer Kontrolle.

Der Vater stirbt, aber das Erbe, auf das Vincent spekuliert, löst sich bei näherer Betrachtung in Luft auf. Da trifft es sich, dass Vincent im Schützenverein einen Mann kennenlernt, der ihm ein Angebot macht, das er nicht ausschlagen kann. Er muss dafür nur tun, was er richtig gut kann: schießen. Freilich auf Menschen. Auftragsmorde, Schüsse aus großer Entfernung, für Vincent kein Problem, das Honorar ist mehr als in Ordnung. Von Skrupeln ist wenig zu sehen, wie Reda Kateb überhaupt selten eine Miene verzieht; Vincent ist ein Mann, der, was ihn bewegt, in ein schwer zugängliches Innen verschließt. Das Sichtbare, das Zählbare, das, was in der Welt etwas bewegt, ist schon eher sein Ding: zielen, schießen, treffen. Mit dem Geld kann er aus der Ruine, die sein Leben ist, etwas Neues errichten. Er schießt und trifft und kassiert und kauft sich ein superteures Gewehr und ein superschnelles Motorrad und nähert sich seiner Frau wieder an, die ihn verlassen hat und der er nun sehr viel mehr als zuvor bieten kann.

Der deutsche Titel des Films „French Hitman“ führt ein wenig in die Irre. Ein Krimi oder Thriller ist das nicht. Auf Spannung oder Intrige will „La résistance de l’air“ (also: „Luftwiderstand“, so der französische Titel) nicht hinaus. Wobei auch der Beginn des Films selbst diese Irre durchaus sucht: Man sieht einen später nur ganz kurz noch einmal auftauchenden Hitman, der in Zeitlupe einen kaltblütigen Mord ausführt. Aber auch dabei kommt es Regisseur Fred Grivois eher darauf an, eine Stimmung zu setzen: kalte, entsättigte Farben, pathetisch unterkühlte Musik, eine Welt, in der psychisch brutalisierte Männer, um überhaupt was zu spüren, und sei es nur den Luftwiderstand, Dinge nicht schaffen, sondern zerstören. Das erscheint hier als Pathologie, aber als eine Pathologie, an der der Film ästhetisch durchaus mit Lust partizipiert.

Ein Männerfilm nämlich ist „La résistance de l’air“ zu hundert Prozent. Kein Wunder, wenn man auf die Herkunft von Regisseur und Drehbuchautoren schaut. Sie stammen alle aus dem Umfeld des in den letzten Jahren zum Arthouse-Regiestar avancierten Jacques Audiard. Regisseur Fred Grivois ist vor diesem Spielfilmdebüt vor allem als Titel-Designer von Audiards Filmen auffällig geworden. Die Autoren waren bei „Dheepan“ und bei „Ein Prophet“ am Drehbuch beteiligt. Um Männer in Nöten geht es stets auch bei Audiard. Der ist am Debüt seines Titeldesigners in keiner Funktion beteiligt, aber als Vorbild und Modell unübersehbar.

Wobei auch Audiard nicht im engeren Sinn originell ist. Seine Mixturen aus Männerpsychoporträt und Genremomenten, die die Beziehungen zwischen Männern und Frauen gern in Richtung Melodram überziehen, stehen in der Tradition des Neo-Polar. Also eines Genres, das Männergewalt und düstere Weltsicht zu Geschichten amalgamiert, in denen rein gar nichts im Lot ist. Das macht Grivois zum Epigonen eines Epigonen. Aber es ist interessant zu sehen, in welche Richtung das Audiard-Universum hier expandiert.

Ekkehard Knörer

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