Keine urbanen Freiräume mehr: Oldenburg geht's zu gut
In Oldenburg ist in den letzten Jahren passiert, was man sonst nur aus florierenden Großstädten kennt: Kultur setzte sich in Nischen fest. Doch jetzt wird es eng.
Die Umbaubar gibt es, seit der Oldenburger Architekt Bernd Feeken vor neun Jahren auf die Idee kam, den Rohbau auf einer Großbaustelle in der Innenstadt zum Wohnzimmer zu machen. „Die Gäste hockten mit ihrem Drink in der Hand auf umgedrehten Bierkisten“, so Hellmers. In Berlin mag so etwas normal sein, in Oldenburg sei die Idee neu gewesen, meint Katharina Semling von „Bau-Werk“, einem Oldenburger Forum für Baukultur: „In einem freien Raum gab es auf einmal kulturelles Leben.“
Es folgten weitere alternative Projekte wie das ehrenamtlich organisierte Freifeld Festival: 2013 fand die erste Ausgabe in einer ehemaligen Kaserne statt. Musik, Workshops und Theater füllten sonst ungenutzten Raum.
Das kleine Oldenburg schloss sich damit einer Entwicklung an, die laut Stadtforscherin Gesa Ziemer weltweit erkennbar ist, allerdings in der Regel in Metropolen. „Kultur- und Kreativschaffende nutzen zwischenzeitlich Räume und Flächen, die sonst brach liegen würden.“ Ziemer ist Vizepräsidentin für Forschung der Hafencity Universität Hamburg und Mitbegründerin des Studiengangs „Kultur der Metropole“. Die freie Szene spiele dabei eine wichtige Rolle: „Sie sorgt für eine vielfältige, kulturelle und damit oft auch soziale Durchmischung“, sagt sie. Einige Bereiche wie Design oder Film seien auch ökonomisch wertvoll. Die Umbaubar in Oldenburg zog nach ihrem erfolgreichen Baustellen-Start weiter, um Nischen mit Partys und Veranstaltungen kulturell zu bespielen. Mal in eine ehemalige Gaststätte, mal in ein altes Hotel. Doch seit 2012 ist die Bar nicht mehr gewandert. Sie befindet sich seitdem im Rose-Haus, einer ehemaligen Segelmacherei und Taklerei mit Blick auf den Hafen.
Ist die Luft etwa raus? Nein, sagt Betriebsleiter Hellmers, aber es fehlten Räume. „Wir haben ewig nach einer neuen Adresse gesucht, aber da ist nichts zu machen.“ Ähnlich sieht es mit dem Freifeld Festival aus. „Für dieses Jahr suchen wir noch ein Gelände“, sagt Sprecherin Katharina Wisotzki. Schon 2014 musste das Festival aus der Innenstadt weichen, weil die Kaserne zum Wohnquartier mit 750 Apartments wird. In einem früheren Kloster am Stadtrand fand sich 2015 zunächst ein neues Gelände. Dann kam die kurzfristige Absage. Es hatte Ärger mit dem Eigner, einer Immobilienfirma, gegeben. Ein Rückschlag für den Trägerverein – auch finanziell.
Dass Platz fehlt, bestätigen auch die Stadt und das City Management Oldenburg, das Einzelhändler und Firmen vertritt. Gaststätten, Lagerhallen, Läden oder Hotels sind laut Stadtverwaltung kaum verfügbar. Vor allem Flächen in der Bestlage der Fußgängerzone sind praktisch nicht zu kriegen, sporadisch wird in Nebenstraßen oder Randlagen etwas frei. „Es kommt nur vereinzelt zu gefühlten Leerständen, wenn für den Nachmieter renoviert wird“, sagt der City-Management-Vorsitzender Friedrich-August Fisbeck.
Gleichzeitig haben sich die Mieten auf hohem Niveau eingependelt. Laut dem Verband der Immobilienwirtschaft, dem Immobilienkreis Oldenburg, liegen die Preise in Bestlage zwischen 60 und 100 Euro pro Quadratmeter. Fragt man bei der Stadt nach, gibt es dafür mehrere Gründe. Aktuell nehme Oldenburg wie alle Kommunen Flüchtlinge auf, 1.200 Menschen allein im vergangenen Jahr. Um alle unterzubringen, miete die Stadt Hotels oder Gewerbehallen an. Vor allem aber wachse Oldenburg als Wirtschaftsstandort. „Für die kreative Szene, aber auch für alle anderen Branchen, wird es daher schwierig sein, geeignete Immobilien zu finden“, fasst eine Sprecherin zusammen. Es schwinden also Nischen, weil es Oldenburg wirtschaftlich gut geht.
Gesa Ziemer, Stadtforscherin
Das setzt die freie Szene unter Druck. Hellmers von der Umbaubar erzählt, wie sie Räume besichtigt hätten, die zum Teil direkt in der Fußgängerzone lagen, und Zusagen bekommen hätten, die dann doch keine waren. So wie am Waffenplatz, einem der drei zentralen Plätze in der Innenstadt. Der Zuschlag für einen Teil der Broweleit-Häuser, einem prominenten Leerstand, wurde zurückgezogen. „Da haben andere Einzug gehalten.“ Hellmers meint das neu entstandene „Quartier Waffenplatz“ mit seinen Premium-Wohnungen, Büros und Läden. Investoren rissen die alten Häuser ab und ersetzten sie durch Neubauten.
Stadtforscherin Ziemer beobachtet diesen Trend auch in anderen Städten. „In der Tat entwickelt sich die Immobilienfrage zu einem der größten Probleme der freien Szene“, sagt sie. Selbst dort, wo städtische Netzwerke Projekte beraten, stehe die Suche nach Räumen oft im Fokus. Als Beispiel nennt sie die Kreativgesellschaft Hamburg, die Kunstschaffende oft bei der Immobiliensuche unterstützen müsse.
Aber Freiräume seien notwendig, weil es ohne die freie Szene keine frischen Impulse gäbe. „Sie ist der Nachwuchs für die etablierte Kunst.“ Katharina Semling vom Oldenburger Forum für Baukultur sieht das ähnlich. „Es braucht Luft für Orte, wo der Mensch Rollen ablegen kann“, sagt sie und spricht von einem „Knirschen“, das Projekte wie die Umbaubar oder das Freifeld Festival nach Oldenburg brächten.
Die Umbaubar jedenfalls ist erst einmal sesshaft wider Willen. „Wir haben uns damit abgefunden“, sagt Hellmers und steigt die Treppe in den ersten Stock des Rose-Hauses hinauf. Eine Theke aus dunklem Holz und Messing wie aus einer Kneipe in St. Pauli – die Hafennähe schlägt durch. Es scheint, als ob sich die Bar an diesem Ort ganz wohlfühlt.
Außerdem liegt sie genau in dem Viertel, das die Stadt bis 2025 zu einem „Kreativquartier“ machen will. Ein paar Straßen weiter sind mit dem „Kreativlabor“ auf 400 Quadratmetern schon Räume entstanden, die flexibel für Initiativen und Projekte verfügbar sind. Eigentlich doch eine gute Nachbarschaft. Und erhält die Bar mit dem Rose-Haus nicht auch einen Teil des alten Stadtbildes?
„Die paar Meter aus der Innenstadt raus merken wir schon“, sagt Hellmers. Den Gästen sei der Weg zum Hafen oft zu weit. Das mache es schwer, dem eigenen Anspruch gerecht zu werden und das Haus kreativ zu bespielen. „Wir sind nicht auf das große Geld aus, aber das ist schon ein Kampf für uns.“ Um der Idee aus den Anfängen treu zu bleiben, veranstalte die Bar seit kurzem Konzerte mit Bands, die sonst in der Stadt selten eine Plattform fänden. Aber auch das gelinge nur, weil ein Sponsor unterstütze.
Die Stadt versucht nach eigenen Angaben zu unterstützen. So hat die Wirtschaftsförderung gemeinsam mit Kreativen das Netzwerk „Cre8“ aufgebaut, das beraten und Kontakte schaffen soll. Außerdem weise man Immobilieneigentümer auf die Möglichkeit der Zwischennutzung durch Kreative hin. Als das Freifeld Festival 2015 kurzfristig ohne Gelände dastand, half die Stadt bei der Suche nach einem Ersatz, wenn auch erfolglos.
Allerdings bleiben die Planungen oft schwammig. Auf konkrete Vorschläge angesprochen, kommen ausweichende Antworten. Zum Beispiel, wenn es um die alltägliche Zusammenarbeit mit der Szene geht. Keno Hellmers wünscht sich da mehr Beweglichkeit. „Es ist schwierig, Strukturen aufzubrechen“, sagt er. Wenn es um kurzfristige Unterstützung, Anträge und vorübergehende Veranstaltungsorte gehe, blockiere das Verwaltungssystem.
„Die Stadt könnte Freiflächen für Veranstaltungen ausweisen, auf denen vereinfachte Antragsverfahren gelten“, sagt Hellmers. So hätten es schon Berlin und Halle gemacht. In Oldenburg sei etwa der Fliegerhorst geeignet, wo gerade mit Hilfe aufwendiger Bürgerbeteiligung ein neuer Stadtteil entwickelt wird. Der Rat will den Plan dafür noch im Frühsommer beschließen. Darauf angesprochen, bleibt die Stadt trotzdem unverbindlich. „Die Möglichkeit einer Kreativnutzung ist noch zu klären“, heißt es schmallippig. Die Pläne seien noch nicht weit genug gediehen.
Also scheint sich erst einmal nichts zu tun. Katharina Semling vom Forum für Baukultur geht zwar davon aus, dass die aktuelle Situation eine Ausnahme ist und der Druck wieder nachlässt. Allerdings müsse die Stadt auf ihre Freiräume aufpassen. „Alles nur schön und aalglatt will doch keiner.“
Keno Hellmers jedenfalls hofft, dass die Umbaubar eines Tages doch wieder weiterziehen kann. „Bis dahin bauen wir eben hier drinnen um.“
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