"Die Kriegsmetaphorik der Jugendlichen ist beunruhigend"

Abi-Rituale Schüler für Krawalle zu bestrafen oder die Mottowoche ganz zu verbieten bringt nichts, sagt Kulturwissenschaftlerin Katrin Bauer

Katrin Bauer

Foto: DLR

39, erforscht am Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn die Rituale von Abiturienten.

taz: Frau Bauer, Sie erforschen Rituale von Abiturfeiern. Die meisten verlaufen ja sehr harmlos. Woran liegt es, dass die Krawalle in Köln so eskaliert sind?

Katrin Bauer: Die Krawalle in Köln fanden ja hauptsächlich außerhalb des Schulgebäudes, im halböffentlichen Raum, statt – das ist eine neue Dimension. Und ja, diese Heftigkeit gab es vorher noch nicht. Das hat viel mit dem Druck zu tun, unter dem die Jugendlichen stehen – die Schulzeitverkürzung, der Leistungsdruck. Und es hat auch mit fehlenden Grenzen in unserer Gesellschaft zu tun. Bei Abi-Gags ging es schon immer darum, die Grenzen auszutesten und zu überschreiten. Das Besondere in Köln: Es gibt viele Gymnasien auf engem Raum. Dadurch herrscht eine starke Schul- und Stufen-Identität, eine Art Über-Identifizierung. Die Abiturienten haben sich gegenseitig immer mehr angestachelt in den vergangenen Jahren.

Einige YouTube-Videos von Abiturienten sind ja sehr martialisch. Woher kommt denn die kriegerische Komponente?

Es ist in der Tat beunruhigend, dass sich Jugendliche einer Kriegsmetaphorik bedienen. Aber die Medien befeuern das auch, wenn sie immer vom „Schulkrieg“ oder „Abikrieg“ sprechen. Es geht den Jugendlichen vor allem um Selbstinszenierung: Die Jugendlichen filmen sich, ihre aufwendig produzierten Videos werden geteilt, geliket – und die Auseinandersetzung im halböffentlichen Raum wird nochmals in die virtuelle Welt getragen.

Mit diesen Videos sind die Jugendlichen im Netz ihr Leben lang auffindbar. Sind sich die Schüler der Folgen bewusst?

Ja, die Jugendlichen wollen etwas hinterlassen, sie wollen, dass man sich an sie erinnert. Um im Gedächtnis der Schule zu bleiben, war es den Abiturienten schon immer wichtig, einen einmaligen Gag zu organisieren.

Wie reagieren denn die unbeteiligten Mitschüler auf die Gewalteskalation?

Wir sehen klar eine starke Gegenbewegung. Gerade in den sozialen Netzwerken haben sich die Schüler nach den Kölner Krawallen entsetzt gezeigt, sprechen sich jetzt dezidiert gegen Gewalt aus. Auch die Schüler vom Humboldt-Gymnasium haben sich am Folgetag von den Ausschreitungen distanziert und die Fehde für beendet erklärt. Viele werden sich klar, dass dies nicht die Art ist, wie sie ihre Abiturzulassung feiern wollen.

Einige Schulen überlegen nun die Mottowochen ganz zu verbieten. Ist das die Lösung?

Ich glaube, das ist keine Lösung. Schauen Sie sich die Funktion von Ritualen wie diesen Mottowochen an: In einer sehr unsicheren Phase, einer Übergangsphase, in der die Jugendlichen nicht wissen, was sie erwartet, stellen sie Zusammenhalt und Identität her. Rituale geben Struktur, Sicherheit und Halt. Wenn Sie diese Rituale einfach kippen, werden sich die Schüler andere Aktionen überlegen.

Es helfen also gar keine Maßnahmen?

Die Abi-Mottowochen wurden ja auch in den vergangenen Jahren immer stärker reglementiert, auch aufgrund von Vorfällen mit Alkohol. Abiturienten mussten teilweise Verträge unterschreiben und wurden haftbar gemacht für eventuelle Schäden, Abi-Gags wurden verboten. Als Reaktion darauf verlagerten sich die Streiche weiter in den öffentlichen Raum mit den nun bekannten Folgen.

Wie kann die Schule die Kontrolle wiedergewinnen?

Schulleiter sollten mit den Schülern reden und zusammen überlegen: Was wollen die und wie können Grenzen überschritten werden im Netz – ohne dass es gewalttätig wird?

InterviewClaudia Hennen