Die Gefahren lauern überall

Überleben Nehberg & Co.: Philipp Schönthaler widmet sich dem "Survival in den 80er Jahren"

Als Alexander der Große zu den Skythen kam, zeigten sich diese wenig beeindruckt. Ob sie keine Angst hätten, fragte Alexander. Die Skythen sagten: „Nee, haben wir nicht. Wir fürchten uns nur davor, dass uns der Himmel auf den Kopf fällt.“ Ohne Angst ist der Mensch nichts. Die Frage ist nur, wovor er sich fürchtet.

Philipp Schönthaler macht sich in seinem eben erschienenen Buch über „Survival in den 80er Jahren“ daran, das Phänomen des Survivalismus zu durchdringen. Sein wichtigster Stichwortgeber ist dabei, wenig erstaunlich, Bestsellerautor Rüdiger Nehberg, dessen Motto das Denken der Überlebenskünstler auf den Punkt bringt: „Die Gefahren lauern überall.“

Survivalratgeber haben den Ernstfall fest im Blick. Der mehrfache Overkill durch das Atomwaffenarsenal der Supermächte bedrohte damals Mitteleuropa, während der Wald starb und das Essen vergiftet war. Wenn das Ende nahe ist, kann ein bisschen Überlebenswissen nicht schaden. Bis dahin ist es aber die Zivilisation selbst, die Menschen aus sich herauskatapultiert: Wer einen Flugzeugabsturz erlebt, sieht sich einer Situation gegenüber, der er nicht gewachsen ist, weil er abhängig geworden ist vom reibungslosen Funktionieren der allgegenwärtigen Technik, die unser komfortables Leben sichert. „Die Katastrophe ereilt den Überlebenskünstler aus der Zukunft, jedes Mal einzigartig, jedes Mal neu“, fasst Schönthaler das Denken der deutschen Survivalisten der Achtziger zusammen.

In seinem Essay schlägt Schönthaler mit der Machete des Kulturwissenschaftlers durch einen manchmal unübersichtlich wirkenden Dschungel der Erzählungen und Diskurse einen Pfad. Er begleitet Nehberg durch den Amazonas, analysiert eine Fülle von Survivalhandbüchern und findet Motive survivalistischen Denkens in Rambo-Filmen wieder. Er weist auf Zusammenhänge zwischen Apologien des Unternehmertums, der neoliberalen Ideologie des Selbstmanagements und dem linksalternativen Ideal der Selbstverwirklichung hin. Er zieht eine Verbindungslinie zu Extremsportlern wie Reinhold Messner, der in der Todeszone der Achttausender Leib und Leben riskierte, um seiner Angst ins Auge zu blicken. Schönthaler zeigt aber auch, dass viele der deutschen Autoren die sozialdarwinistische Idee des „Kampfs ums Dasein“ verinnerlicht haben.

Die vielleicht wichtigste Unterscheidung, die Schönthaler herausschälen kann, ist eine historische. Ihren ersten Boom erlebte die Survivalliteratur in den Achtzigern, ihren zweiten nach der Finanzkrise von 2008. Als beherrschenden Typus der Achtziger beschreibt Schön­thaler den „ortlosen Überlebenskünstler“, der die Konfrontation wählt: „Um der Angst Herr zu werden, muss ich mich der Angst aussetzen, so die Logik.“ Survivalisten der Gegenwart dagegen sind echte Apokalyptiker, die den baldigen Kollaps des Systems durch „Distanzierungsmaßnahmen“ zu beherrschen suchen. Ihre Bücher erscheinen im berüchtigten Kopp Verlag.

Einer biografischen Spur geht Schönthaler leider nicht nach: die Frage zu stellen, wie traumatische Erfahrungen von Kriegskindern und Soldaten das Denken deutscher Survivalisten beeinflusst haben könnten. Dabei hat er den Schlüssel in der Hand. Die Idee des Survival sei bei Männern wie Nehberg, schreibt er, der Wunsch, „ein geschichtsloses Tier zu werden, das überlebt, indem es spurlos in der Natur aufgeht“. Ulrich Gutmair

Philipp Schönthaler: „Survival in den 80er Jahren“. Matthes & Seitz 2016,279 S., 22,90 Euro