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Comic-Lesung in HamburgVon Bauern und Mördern

Schafe ficken, Frauen töten, Lieder singen: Die Comics von Erik Kriek und Pieter de Poortere eint das Morbide. Eigentlich unmöglich, daraus vorzulesen.

Retro-Realismus: Erik Kriek zeichnet mit psychologisch inspirierten Farben. Foto: Avant Verlag

Bremen taz | Manches Veranstaltungen sind bereits konzeptionell so absurd, dass bereits ihr bloßes Stattfinden neugierig macht. Dazu gehört auch die Comic-Lesung, bei der Erik Kriek aus Amsterdam und der in Gent geborene Pieter de Poortere am heutigen Mittwochabend in Hamburg auftreten. Im Schanzenbuchladen wird de Poortere „Dickie“ in Deutschland vorstellen – endlich!

Der Band des Belgiers versammelt seit Beginn des Jahrhunderts entstandene Strips, die ein zutiefst ausgelassener schwarzer Humor, ein bewusst naiver Strich und eine quietschbunte Adobe-Kolorierung prägen. Die Hauptfigur heißt „Boerke“, aber irgendwer fand „Dickie“ international kompatibler, was so überzeugend ist, wie die Benennung von Asterix und Obelix in Siggi und Barrabas.

Ursprünglich tritt Boerke tatsächlich, wie der Name sagt, als Bäuerchen auf: bestellt seine Frau im Katalog, fickt seine Schafe, muss die Kuh notschlachten. Später sieht man ihn auch als erfolglosen Angestellten, als peinlichen Märchenprinzen, als Flüchtling, als Fabrikant – und nie vergessen sollte man, dass Boerke der Sohn Adolf Hitlers ist. Aber das enthüllt laut Verlag erst der nächste Band. Das Belgische Comic Zentrum hat Boerke/Dickie jedenfalls längst kanonisiert: Neben der Espace Hergé und dem Peyo-Saal ist das 2014 eröffnete Pieter-de-Poortere-Auditorium erst der dritte Raum, den dieses wichtige Comic-Museum einem Einzelkünstler widmet.

Unheimliche Storys

Erik Kriek dagegen, aus Amsterdam, trägt aus „In The Pines“ vor: Das Album in realistischem Retro-Western-Stil wartet mit abgründigen Personen statt mit Typen auf: Wo de Poortere mit munterem Cloisonismus spielt, also konturierten, satten Flächen, hält Kriek die Konturen rätselhaft offen: Sein Band erzählt fünf kurze, oft ins Unheimliche spielende Storys, die auf Liedern über Bluttaten im rauen Wilden Westen beruhen, sogenannten „Murder Ballads“. Das Genre gilt als Herzstück des amerikanischen Folk, jeder Songwriter hat welche verfasst, viele stammen aber von längst vergessenen Schreibern. Und sie spielen meist tief, tief im dunklen Wald, wohin die Sonne niemals strahlt.

Kriek hat Schwarz-Weiß-Zeichnungen in eine je zur Geschichte passende Farbe übertragen, so, wie jedes Lied seine eigene Tonart hat: Zartlila-Weiß wählt er für den Standard „Long Black Veil“, und Rosa-Weiß – For her lips were the colour of the roses – grundiert er seine durchaus eigenwillige Version von „Where the Wild-Roses Grow“ von Nick Cave und Kylie Minogue. Die Details darauf tuscht er. Und durch das satte Schwarz der China-Tinte legt sich, infolge additiver Farbmischung, ein melancholischer Schleier über die Szenen.

Die Farbe von Seekrankheit

Boerke ist uns so herzlich zuwider, wie wir selbst, wenn wir ehrlich zu uns sind.

Besonders frappierend ist dieser Effekt bei der Geschichte von „Pretty Polly“, die zu großen Teilen im Sturm auf dem Meer spielt. Dieses Lied ist von irgendwann aus dem 18. Jahrhundert auf uns gekommen, in sehr verstümmelter Form, und in den heute bekannten Versionen fehlt jeder Hinweis auf die Spukgeschichte, die sich an den Mord anschließt: Nach dem Sex am Fluss, als er die hübsche Polly in den Wald geführt, erschlagen und ins vorbereitete Grab gelegt hat, heuert Willie als Zimmermann auf einem Dreimaster an.

Auf dem Schiff aber spukt fortan ein Geist in Frauenkleidern. In rasanter Schnitt-Gegenschnitt-Technik switcht Kriek von Flussaue und Wald zum stürmischen Ozean, von der Supertotalen zur Ultranahansicht alla Sergio Leone. Und das reine, frische Lindgrün des Fonds schlägt um in die Original-Farbe von Seekrankheit.

Ästhetisch ist der Kontrast der zwei Alben also maximal schroff. Das Absurditätspotenzial des Abends entsteht aber durch etwas anderes. Denn bei Comic-Lesungen stellt sich ohnehin stets die Frage: Mit welchem performativen Kniff bekommen die Künstler die generische Zweistimmigkeit von innig verschmolzenem Bild und Text zum Klingen – und wie reproduzieren sie die Geräuschmusik, die auf jeder Seite, in jedem Panel einer Grafic Novel mitschwingt, knirscht, gluckergluckt und tickt?

Kein Mitleid!

Die Frage spitzt sich bei de Poortere noch zu. Denn wie Kriek in früheren Werken – der 49-Jährige ist in den Niederlanden berühmt als Vater von Gutsman, einem Anti-Superhelden oder Super-Antihelden, je nachdem – verzichtet er auf Wörter. Außer den sechs Buchstaben des Figurennamens gibt es hier wenig zu lesen, außer vielleicht mal ‚nen wichtigen Schriftzug: „LOSER“, blinkt in der Fernseh-Gameshow auf, an der Boerke teilnimmt; auch die Samenbank, in der Boerke das für die In-vitro-Zeugung seines späteren Mörders notwendige Sperma abliefert, hat ein Türschild.

Und sein Traktor, mit dem er Illegale über die Grenze bringt, macht verdächtig toc, toc, toc!, gerade als er am Zollhäuschen halten muss. Entsprechend schleierhaft ist, wie de Poortere daraus vortragen will. Fest steht nur, dass es „in englischer Sprache“ geschieht.

Man sollte aufs Schlimmste gefasst sein. Denn ob Boerke bei Hoerke – auf Deutsch Vickie – Sex kauft oder Leben rettet: Ständig schlägt irgendein blöder Schmetterling mit den Flügeln und verursacht Katastrophen. Kein Mitleid! Boerke ist uns so herzlich zuwider, wie wir selbst, wenn wir ehrlich zu uns sind. Daher ist es toll, sich über seine Leiden zu freuen, obwohl klar ist: Sie sind nur eine Vorstufe des Weltuntergangs. Denn Boerke ist Adam, und Boerke ist Saddam. Und Boerke ist auch Gott.

Bei Kriek hat man es dagegen mit ganz konservativen dreckigen Gewalttaten zu tun. Mit Mord. Und mit Folkmusik: Jeden Sonntag schnalle sich der Zeichner den Gitarrenkoffer auf den Rücken und radele zum Jammen, heißt es in einem TV-Porträt.

Er singt dabei mit einem angenehm hellen Tenor, der zu dem bärigen Typen gar nicht zu passen scheint, der aber die morbide Stimmung der Songs schön einfängt, die Dramatik der Balladen und von zeitlich getrennten Strängen der Handlung geprägt ist, und ihre tiefe Melancholie, die Quelle seiner wunderbaren Grafic Stories.

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